Mit seiner besonderen Lage zwischen Steilhang und Traveufer zog das Fischerdorf Gothmund seit Mitte der 1880er Jahre vermehrt Künstlerinnen und Künstler an, die hier die Motive ihrer Malerei fanden: Mit den eng zusammenstehenden Fischerkaten und den Wegen, die zum Begegnungsort für Bewohner und Gäste werden, sowie dem Ausblick in die Weite der Travelandschaft wird Gothmund besonders für die Impressionisten zu einem über Generationen hinweg faszinierenden Malort. Auf der Suche nach neuen, unverbrauchten Landschaftsmotiven zogen junge Kunststudenten der Großherzoglich Sächsischen Kunstschule Weimar wie Carl Malchin und Christian Rohlfs, der Großherzogliche Badischen Kunstschule Karlsruhe wie Ernst Eitner und der Düsseldorfer Kunstakademie wie Gustav Wendling in den Sommerferien gemeinsam los und tauschten die »besten Maladressen« aus. Sie entdeckten dabei das alte Fischerdorf in seiner Ursprünglichkeit und das einfache, überschaubare Leben der Fischerfamilien als Motive und hielten diese auch direkt vor Ort fest.

Durch die Industrialisierung an der Trave fand die Idylle ein Ende und viele der jungen Maler zogen weiter, um sich an anderen Orten niederzulassen. Anfang des 20. Jahrhunderts waren es so nicht mehr hauptsächlich die »Auswärtigen«, die Gothmund besuchten. Zunehmend malten dort nun die Lübecker Künstlerinnen und Künstler, insbesondere aus der Malklasse Willibald Lütgendorffs.

In Zusammenarbeit mit Heiko Jäckstein und Marlis Zahn zeigen wir in den Kabinetträumen des Drägerhauses 2023 eine Ausstellung in zwei Teilen: Zu sehen sind Werke, die zwischen Mitte der 1880er und Ende der 1920er Jahre an der Trave zwischen Gothmund und Travemünde entstanden sind. Gemälde, Zeichnungen, Fotografien und Skizzenbücher geben künstlerische Einblicke in das Dorf, in die Begegnungen mit Fischerfamilien, die Architektur und Topografie der alten Fischerkaten, den Künstlerwohnort Israelsdorf sowie Ausblicke in die Weite des Landschaftsraums. Diese Positionen werden im zweiten Teil ab Ende August 2023 um Ansichten der veränderten industriell-geformte Trave-Landschaft ergänzt. Außerdem wird hier in der Gegenüberstellung mit Werken von Heiko Jäckstein eine Brücke in die Gegenwart geschlagen, die zeigt: Gothmund bietet auch heute noch Inspiration für künstlerische Arbeiten und Austausch vor Ort. 

Die Forschungsarbeit von Heiko Jäckstein und Marlis Zahn zu Gothmund als Malort und Künstlerkolonie konnte in den letzten Jahren einige Dutzend Künstler und mehrere Hundert Arbeiten motivisch dem Fischerdorf Gothmund, dem Nachbarort Israelsdorf und der näheren Trave-Umgebung zuordnen. Mit rund 40 ausgestellten Werken, einem Begleitheft, Hintergrundinformationen im online Format (eGuide) sowie Führungen und Veranstaltungen sollen die Forschungsergebnisse nun einem breiten Publikum vor Augen geführt werden und zu Diskussionen anregen. Denn auch zeitaktuelle Fragen zum Wandel von Natur- und Kulturlandschaften sowie allgemein zur Gefährdung der Natur durch den Menschen stellen sich anhand der künstlerischen Blicke auf Gothmund der letzten 150 Jahre.

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