Die Ausstellung Magazine entstand aus dem lang gehegten Wunsch der Künstlerin, eine eigene Zeitschrift herauszugeben – ein ganz persönliches Magazin, das weiter zirkuliert als nur im eigenen Freundeskreis. Wegweisend für Lee’s Leidenschaft zu diesem Medium war ihre Arbeit in Copyshops, vor allem aber das Erstellen von Zines seit ihrer Teenagerjahre in New Jersey. Es liegt ein spezieller Reiz von kreativer Selbstverwirklichung im Selbstpublizieren, das sich seit dem Zugang zu billigen Reproduktionsmitteln zu einer eigenen Szene entwickelt hat. Dieser Reiz spiegelt sich auch in Maggie Lee’s künstlerischer Praxis wider: Sie sammelt Material, schneidet aus, scannt und kopiert, malt Hintergründe, fügt Texte hinzu oder verziert mit Stickern und Stoffresten, um die fertigen Seiten anschliessend wieder auf den Scanner zu legen, zu laminieren oder in eine andere Form zu schneiden. Bei Maggie Lee wird das Magazin-Machen zur künstlerischen Methode: All ihre Collagen, Installationen, Videos und Klangarbeiten funktionieren über diese Technik der Montage, das assoziative Arrangieren und dem damit verbundenen Spass an der Verbreitung des Selbstgemachten. Die Ausstellung in der Kunsthalle Zürich kann wie eine begehbare Version dieses geträumten Magazins gelesen werden: Im Zentrum des Raumes steht der Schreibtisch, an dem das Heft entsteht, darum herum verteilen sich irrlichtartig Inspirationen und Ideen. An den Wänden befinden sich Malereien wie gelayoutete Zeitschriftenseiten, Graffiti wie übersehbare Werbeanzeigen und schliesslich ein eigenartiger Horrorfilm, der wie ein durchgeplantes Editorial Aufmerksamkeit auf sich zieht.

My interpretation of a magazine
Making sense of time in a way

Maggie Lee’s künstlerische Arbeit wurde bereits mit dem Tagebuchschreiben verglichen – möglicherweise wegen ihrer langjährigen Erfahrung als Bloggerin, wobei das Reposten, Ansammeln, Kommentieren und Zusammenstellen auf ähnliche Weise zum Einsatz kommt wie das Material in der Do-It-Yourself-Tradition der Zine-Kultur. Die Einträge in Tagebüchern und Blogs können kurz sein oder essayistisch und beziehen sich durch ihre spezifischen Looks und natürlich auch ihre Datierungen auf eine bestimmte Zeit. Doch das Persönliche und Zeitliche scheint bei Maggie Lee weniger Bekenntnis zu sein als vielmehr ein widersprüchliches Spiel, dessen Ernsthaftigkeit fortlaufend angepasst oder abgelehnt werden kann. Trotz aller Referenzen und vermeintlich veralteten Technologien driftet die Künstlerin nie in eine wehmütige Nostalgie ab. Nie trauert sie einer jugendlichen Vergangenheit hinterher oder beschwört den Mythos der ewigen Jugend herauf.

A bit romantic, a bit demented, it is chic and earthy too
Gritty NYC LES memories, like downtempo or drum and bass ish
DIY & superstar mood and thoughts

Die Künstlerin verwendet in ihrer Arbeit oft einen rebellischen Tonfall, den man mit dem punkigen Ethos der Zines und dem Trotz von Teenagern vergleichen könnte. Bissig, manchmal harmlos und sogar niedlich, aber nie artig oder versöhnlich, zeugt dieses Auftreten von einem Bewusstsein für Erwartungen, die an Jugendliche als Konsument:innen gestellt werden: »Teenagers are omnivorous, tireless consumers, careless but at times attentive. They often give form to their world and their culture in an aggressive manner, but at the same time they are forced to come to grips with the labels, judgements and formulae [kurz: Erwartungen] of adults.«[1] Dieses jugendliche Bedürfnis nach Opposition benutzt Maggie Lee somit als ästhetisches Verfahren. All ihre Montagen haben gemeinsam, Erwartungen an ein gelungenes Kunstwerk oder an künstlerische Bescheidenheit nicht einzulösen oder nur scheinbar zu erfüllen. Nicht unähnlich wie die Pistole auf dem Tisch in der Mitte des Raumes als Red Herring für eine mögliche Handlung. Sie entpuppt sich schnell als Feuerzeug-Attrappe und falsches Versprechen, als flacher Witz über den Ausstellungstitel (Magazin = Patronenkammer) und als Travestie von Gefahr.

gang/ lethal shooting hearts

So ist auch der neu für die Ausstellung entstandene Film eine verkorkste Horrorstory, welcher keine Angst davor hat, sich verbrauchten Coming-Of-Age-Tropen und No-Gos zu bedienen. Unter dem Vorwand, eine Romanze zu erzählen, präsentiert er sich bewusst im Gewand des Indie-Films und kombiniert trashige Gewalt mit ausgewählten Outfits vergangener Subkulturen. Wie die Art Direction eines Editorials oder eines Fashion Shootings ist das Video getragen von einer grossen Leidenschaft für das Arrangieren, Inszenieren und Spontanität: Das Styling ist durchdacht, der gesprochene Text improvisiert und sogar die Liebesgeschichte ein eingefädeltes Date von zwei Bekannten der Künstlerin.

Rebellious unconventional
I like contradictory

Die Listen und englischen Schlagwörter in dieser Beschreibung funktionieren vergleichbar mit Slogans in Form von Papierschnipseln, die im analogen Layout auf einer Magazinseite angeordnet werden und in Beziehung zu Bildern und Inhalt gesetzt werden. Sie funktionieren aber auch wie Tags auf Internetblogs, die einen Artikel mit einem anderen Eintrag verlinken und oft einem persönlichen Sortierungsprinzip folgen. Neben selbstbewussten Parolen und plakativen Motiven treten in ihrer Arbeit nicht selten ungemischte Farben in grellen Tönen auf, die an Indie Sleaze und Electroclash erinnern. Das Isolieren eines Elements aus einem grösseren Zusammenhang und Ausprobieren in einem anderen Umfeld kann wie das Ausschneiden von Inhalten für eine Collage betrachtet werden. Dekontextualisierung und falsche Projektionen von aussen werden dazu dankbar aufgegriffen. Diese schulterzuckende Haltung gegenüber Fehldeutung oder Zuschreibungen wird dabei als rebellischer Akt empfunden.

Time and now

In einer Zeit, in welcher sich die Ökonomie unübersehbar auf die Kunstproduktion niederschlägt, sorgt sich Maggie Lee nicht darum, was richtig wäre, es geht ihr vielmehr um das aufrichtige Verlangen, sich in der Unabhängigkeit von äusseren Anforderungen eine eigene Kultur zu schaffen und träumen zu dürfen.

Magical in a cool girl cool world way
Allow ability to dream

[1] Francesco Bonami und Raf Simons: The Fourth Sex: Adolescent Extremes, Mailand 2003, Klappentext.

Die Ausstellung wird kuratiert von Otto Bonnen, Assistenzkurator Kunsthalle Zürich.

Mit besonderem Dank an Luca Beeler, Jenny Borland, Yardane Elbaz, Joe Lesher Liao, Jady Mao, Édouard Montassut, Sveta Mordovskaya, Elyse Robin, Erik Rock, Pascal Schneuwly, Lennart Schweder, Heji Shin, Charlotte Strange, Carmen Tobler, Kei Tsuruta

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