Klassiker der Sammlung und spektakuläre Neuerwerbungen treten in der Sammlungspräsentation in Dialog: von Jean-Michel Basquiat, Sigmar Polke, Raymond Saunders über Pope.L, Arthur Jafa, Monika Baer bis Jacqueline Humphries, Wade Guyton und Aaron Gilbert. Dabei wechseln sich monografische Präsentationen mit thematischen Schwerpunktsetzungen ab.
Wenn Realität ins Bild kommt: In den letzten Jahren drängen verstärkt gesellschaftliche Fragen in die Kunst und führen uns ganz verschiedene Lebenswirklichkeiten und Perspektiven vor Augen. Sie fordern uns auf, selbst Position zu beziehen. »Ich glaube«, so der US-amerikanische Künstler Pope.L, »dass Kunst das Alltägliche in neue Rituale überführt und uns so einen frischen Blick auf unser Leben eröffnet. Diese Erkenntnis gibt Lebendigkeit und Kraft, die Welt zu verändern.«
Kunst kann die Welt, in der wir leben, beeinflussen. Zugleich ist Kunst durchdrungen von der Welt, in der sie entsteht. Der US-amerikanische Künstler Aaron Gilbert beispielsweise zeigt in seiner großformatigen Malerei, dass auch in der vom modernen Kapitalismus geprägten Welt eine spirituelle Ebene verborgen liegt. Drei Personen werden in »Crossing Guard« (2022) in einer apokalyptischen Stadtlandschaft gezeigt. Der orange-violette Himmel erinnert an Edvard Munchs »Der Schrei« (1893), die Sonne an ein Markenlogo oder ein göttliches Auge. All dies verleiht der Szenerie etwas Unwirkliches, das Künstler so beschreibt: »Die Körper, die ich darstelle, stehen unter der Last des Kapitalismus. Ich möchte, dass diese Kraft sehr präsent ist. Ich möchte, dass sie in meiner Arbeit so dominant ist wie in unserem Leben. Diese Kräfte sind da, aber mich interessiert, wo wir Zugang zu der Macht haben, die die Spielregeln umgehen kann.«
Von geradezu prophetischer Aktualität ist Wade Guytons 2016 entstandener Screenshot der »New York Times«-Homepage vom 28. November, wenige Wochen nach der denkwürdigen Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Auf dem Leinwandbild prangt das Werbebanner des preisgekrönten, bissig-satirischen Musicals »The Book of Mormon« (2011), das den missionarischen Eifer der religiösen Rechten in den USA auf die Schippe nimmt. Darunter die Headlines »Trump behauptet, ‚Millionen‘ hätten illegal gewählt, und führt keine Beweise an« und »Jimmy Carter: Amerika muss Palästina anerkennen« – Schlagzeilen, die einen unheilvollen Bezug zur Gegenwart aufweisen.
POPE.L
Ein eigener Raum mit insgesamt acht Neuerwerbungen ist dem 2023 verstorbenen Künstler Pope.L gewidmet. Von sich selbst behauptete er, »the friendliest Black artist in America« – »der freundlichste Schwarze Künstler in Amerika« – zu sein. Tatsächlich ist seine Kunst aber drastisch, provozierend und schonungslos. In Performances, Installationen, Gemälden, Videos und Fotografien setzte Pope.L sich und seinen Körper ein, um die Träume, Wünsche und Konsumgewohnheiten der US-amerikanischen Gesellschaft zu karikieren. Seine Erfahrung als Schwarzer US-Bürger spielte dabei eine zentrale Rolle: »Ich stand immer im Zentrum dessen, was das Amerikanische am Schwarzsein ist, wenn also Marginalisierung stattfindet, dann auf die typisch verzwickte Art, die jemanden ganz im Zentrum stehen lässt und zugleich ganz an den Rändern.«
ZEICHEN DES PROTESTS
Soziale und antirassistische Proteste sind in den letzten Jahren zu einem Symbol unserer Zeit geworden. In einem Raum werden Werke versammelt, die sich mit diesen für demokratische Gesellschaften so sichtigen Formen des Widerstands beschäftigen. In »Liberté, Égalité, Fraternité« (1988) ruft Sigmar Polke die Urszene des politischen Protests in der Moderne auf – die Französische Revolution. Andy Warhol wiederum eignet sich in seinem Gemälde Bilder polizeilicher Gewalt gegen Teilnehmer:innen eines friedlichen Bürger:innenrechtsprotests 1963 im Süden der USA an. Unter dem Eindruck der von allen politischen Lagern veranstalteten Protestmärsche malt Thomas Eggerer mit »Corridor« (2020) über 50 Jahre später ein Sinnbild der heutigen Gesellschaft: Etwa 300 Menschen in leuchtend orangen T-Shirts tragen Transparente und Plakate und marschieren in die gleiche Richtung auf ein unbekanntes Ziel zu.
Seit seiner Eröffnung im Jahr 2009 konnte sich das Museum Brandhorst als zentraler Ort der Gegenwartskunst in Deutschland etablieren. Die jüngsten Ankäufe der ständig wachsenden Sammlung widmen sich wichtigen Positionen zeitgenössischer Kunst und legen dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit den Künstler:innen sowie aktuellen gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen.