Das Lenbachhaus zeigt eine gemeinsame Ausstellung der Künstlerinnen Rosemarie Trockel (*1952 Schwerte) und Thea Djordjadze (*1971 Tbilissi). Von 1998 bis 2001 war Djordjadze Trockels Schülerin an der Kunstakademie Düsseldorf. Seither pflegen beide eine enge künstlerische Beziehung und realisierten bereits gemeinsame Projekte. In ihrer Arbeit erforschen sie Themen, die für die zeitgenössische Kunst und deren Produktion relevant sind: So setzen sie sich etwa mit dem künstlerischen Arbeitsprozess auseinander und hinterfragen dessen Voraussetzungen, Traditionen, Freiheiten und Beschränkungen. Zugleich spielen sie mit den Konventionen von Kunst und Ausstellungsraum.

In ihrer Ausstellung »limitation of life« bringen Trockel und Djordjadze diese Themen zusammen: Entlang von Überlegungen des Dichters Arthur Rimbaud beschäftigen sie sich mit dem Begriff von Schönheit und stellen etablierte ästhetische Strategien in Frage. Rimbauds einleitende Zeilen aus »Une saison en enferr« (1873) sind dabei sinnstiftend für den Ansatz der Künstlerinnen: »Eines Abends setzte ich mir die Schönheit aufs Knie. Und ich empfand sie als bitter. Und ich beschimpfte sie.«

Trockel und Djordjadze fordern unsere eingeschliffene Wahrnehmung und unsere geübten Sinne heraus, indem sie uns in »limitation of life« in einen abgedunkelten Raum führen, der rätselhaft erscheint und auf den ersten Blick keine klaren Anhaltspunkte bietet. Erst nachdem sich unsere Augen an die reduzierten Lichtverhältnisse gewöhnt haben und wir etwas weiter hineintreten, schälen sich nach und nach visuelle Anker aus der Dunkelheit heraus und geben uns Orientierung: Neonleuchten, Schnüre, Leinwände, Wollgarn und ein Wasserbecken. Obwohl uns diese Dinge vertraut sind, stellt uns ihre andersartige Zusammenstellung vor die Aufgabe, neu zu sehen und zu denken. Die Bedeutung, die die einzelnen Komponenten für uns haben, erfährt durch die transformatorische Bearbeitung der Künstlerinnen eine Neubewertung und Neukontextualisierung: Neonleuchten, die den White Cube-Raum zeitgenössischer Ausstellungen üblicherweise hell ausleuchten, sind zu skulpturalen Lichtquellen geformt und eigenständige (Kunst-)Objekte; Schnüre erscheinen über unserer Kopfhöhe wie ein Leitsystem oder eine lineare Zeichnung im Raum; ›weiblich‹ und ›häuslich‹ konnotiertes Material wie Wolle wird zum künstlerischen Arbeitsmittel; die gestalteten Leinwände stehen losgelöst von den Wänden in einem wassergefüllten Metallbecken. Wie von Rimbaud angeregt, wird eine etablierte Idee von Schönheit – in diesem Fall die Museums- und Ausstellungsästhetik der Gegenwart – in ihre Einzelteile zerlegt, neu gedacht und mit Elementen kombiniert, die im musealen Kontext als unkonventionell gelten.

In »limitation of life« vereinen Trockel und Djordjadze ihre künstlerischen Ausdrucksweisen, ohne dabei ihr individuelles Formenvokabular aufzugeben: Trockel zum Beispiel führt die textilen Elemente ein. Sie war eine der ersten Künstlerinnen in Deutschland, die sich mit geschlechtlichen Stereotypen auseinandersetzte und dafür auf ›weiblich‹ konnotierte Materialien wie Wolle zurückgriff. Im Jahr 2000 zeigte sie im Kunstbau des Lenbachhauses eine Einzelausstellung, in der sie ihre Herdplatten-, Strick- und Wollbilder versammelte. Im Gegensatz zu ihren sonstigen Wollarbeiten montiert sie in »limitation of life« das Garn horizontal auf den Leinwänden. Djordjadze beschäftigt sich mit abstrakten geometrischen Formen und Materialien der Postmoderne und der Konzeptkunst. Bekannt ist sie für aus Metall gearbeitete skulpturale Objekte. Ihre Faszination für dieses Material findet sich hieretwa in dem metallenen Wasserbecken wieder, das als ungewöhnliches Podest für die Leinwände dient. Neben Trockels horizontalen Wollbildern sind darauf auch großformatige Leinwandarbeiten von Djordjadze installiert – Gemälde in dieser Größenordnung sind eine Seltenheit im Werk der Künstlerin.

Das Zusammenspiel von Trockels und Djordjadzes künstlerischen Überlegungen schafft einen Raum, der sich entgegen der im Ausstellungsbetrieb etablierten Konventionen nicht in erster Linie über (kunsthistorisches) Wissen erfahrbar macht, sondern auf sinnlich-intuitiver Ebene. Die Grenzen zwischen Publikum, Raum und Kunstwerk verunklären sich; die Hierarchie zwischen Werk und Betrachter:in wird aufgebrochen. Objekte und deren Funktion und Bedeutung sind aus ihrer vereinbarten Anordnung herausgelöst und mittels künstlerischer Geste neu zusammengefügt. Kunsthistorische Denk- und Begriffsmodelle funktionieren nicht länger, museale Normen sind aufgehoben, der Bruch mit Verbindlichkeiten und Ratio ist evident. In den Vordergrund tritt die Intuition. Als Publikum sind wir angehalten, uns gleichermaßen von unseren Referenzsystemen und Vorstellungsbildern zu verabschieden und ein neues, individuelles Assoziationsgebäude zu betreten, in dem wir den Ausstellungsraum, seinen Inhalt sowie seine Wirkung auf uns neu erfahren können.

Kuratiert von Eva Huttenlauch 
Kuratorischer Mitarbeiter Nicholas Maniu

Mit freundlicher Unterstützung des Förderverein Lenbachhaus e.V.

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