»MAN STEHT DAVOR WIE DIE KUH VOR’M NEUEN TOR«!
– PETER HERRMANN
Das WECHSELSPIEL NO. 5 im Kabinett des MINSK bringt das Gemälde Landschaft mit Kühen (1979) von Peter Herrmann (geb. 1937 in Großschönau) aus der Sammlung Hasso Plattner mit der großformatigen Fotografie Greeley (2002) von Andreas Gursky (geb. 1955 in Leipzig) aus der Sammlung Viehof zusammen.
Hier eine idyllische Landschaft in der DDR mit drei Kühen, da Massenhaltung von Rindern in den USA. Nicht nur geografisch liegen die dargestellten Szenen tausende von Kilometern voneinander entfernt, auch sind sie im Abstand von über 20 Jahren entstanden. Ebenso unterscheiden sich die künstlerischen Mittel, die hier zum Einsatz kommen: einerseits Malerei, andererseits eine digital bearbeitete Fotografie. Beide Künstler setzen sich mit Landwirtschaft auseinander, doch aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.
»Ich bin doch ein romantischer Mensch«, sagt der Künstler Peter Herrmann über sich selbst. Seine Landschaft zeigt drei Kühe auf einer hügeligen grünen Wiese mit Bäumen. Im Hintergrund ragt ein Plattenbau empor, grob angedeutet durch einfache schwarze Pinselstriche. Damals hätten Bauern, Tiere und ihre Wiesen Platz machen müssen für Wohnräume aus Beton, so erzählt Peter Herrmann bei einem Studiobesuch in Berlin-Spandau. In der überspitzten Gegenüberstellung der freien und scheinbar glücklichen Kühe und einem massiven, kalten Betonbau, dessen Höhe unbestimmt bleibt, treffen Romantik und moderne DDR-Architektur aufeinander. Der Künstler erinnert sich an die Realität der DDR, die ihn bei der Entstehung der Landschaft mit Kühen inspiriert hat: »Früher gab es diese Romantik, Bauernhof, die Kühe davor. Dann hat man ganz brutal auch aufs Land solche ›Hütten‹ gestellt, also solche Neubauten. Nicht ganz so wie hier im Gemälde, aber es war schon ganz eigenartig. Das sind natürlich auch brutale Einschnitte in die Landschaft gewesen, aber man hat sich dabei wenig Gedanken drüber gemacht.«
Die Kühe in Peter Herrmanns Gemälde müssen bald Platz machen für Wohnraum. Landwirte und Bauern in der DDR mussten sich ab den 1960er-Jahren den Genossenschaften der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) anschließen, die 1952 zunächst als freiwilliger Zusammenschluss gegründet worden war. Ab 1960 fand jedoch eine Zwangskollektivierung mit teilweise drastischen Methoden statt. Viele Bauern weigerten sich, der LPG beizutreten und ihr Eigentum aufzugeben. Peter Herrmann erinnert sich: »In der DDR waren die Bauern praktisch wie Industriearbeiter. Sie haben zum Teil ihre Höfe in die LPG mit eingebracht, also das Eigentum ging dann in die LPG über und sie wurden dann zu, im wahrsten Sinne des Wortes, Landarbeitern, angestellt bei der LPG, hatten vielleicht so viel Land wie für einen Garten und zwei Schichten am Tag. Es war eine Entfremdung.«
Auch Andreas Gurskys Fotografie Greeley zeigt Tierhaltung. Allerdings handelt es sich um Massen von Rindern in Greeley, Colorado, aus der Vogelperspektive festgehalten, scharf und detailliert bis in die weite Ferne. Seine Methode der digitalen Montage tut dem dokumentarischen Charakter seiner Werke keinen Abbruch. Im Gegenteil erreicht Gursky so eine realistische Darstellung der Wirklichkeit bis ins kleinste Detail. Nur durch das Übereinanderlegen verschiedener Aufnahmen kann er die Tiefenschärfe ganzflächig erreichen.
Die Landschaft ist gleich einem Raster von einzelnen rechteckigen Parzellen durchzogen, in denen die Rinder sich aufhalten. Die Fotografie macht den Eingriff menschlicher Hand in Muttererde sowie die Dimensionen von Massenhaltung und Massenproduktion sichtbar und in ihrer Größe und Detailtreue nahezu spürbar. Sie suggeriert Unendlichkeit dadurch, dass die Landparzellen sich zu drei Seiten fortzusetzen scheinen – im Hintergrund der Horizont. Die Romantik der weiten Landschaft ist gebrochen durch ein Meer aus Tieren, die in Greeley, Colorado ihre letzte Station auf dem Weg zum Schlachthof in Chicago haben.
Dass Schicksale von der Verteilung von Land und dem Umgang mit natürlichen Ressourcen abhängen, zeigt sich in diesem WECHSELSPIEL: Natur, Mensch und Tier beugen sich immer wieder dem Willen und der Willkür politischer Systeme. Es geht um Macht und Ökonomie, um den Ertrag und das Ausnutzen natürlicher Ressourcen und Lebewesen bis hin zur Ausbeutung. Dies macht sich gleichermaßen im kommunistischen wie im kapitalistischen System bemerkbar: Ob es das »Prestigeobjekt« Schweinehochhaus bei Maasdorf in Sachsen- Anhalt ist, das bis 2018 in Betrieb blieb, oder das ehemalige Hühnerhochhaus in Neukölln, die Rinderoffenställe in der DDR oder heutige Schweinehochhäuser in China.
Die Spannung zwischen Landschaft mit Kühen von Peter Herrmann und Greeley von Andreas Gursky ist groß, doch in der Wechselwirkung zeigen sich beide Künstler als scharfe Beobachter von Landschaft als gesellschaftlichem Phänomen, in dem Mensch, Natur, Tier und wirtschaftliche Interessen aufeinandertreffen.
Was tun angesichts all der Zwänge und verschiedenen Interessen, die hier im Spiel sind? Peter Herrmanns Spruch am Ende unseres Gesprächs in seinem Atelier scheint hier treffend: »Man steht davor wie die Kuh vor’m neuen Tor«!
Paola Malavassi
Alle Zitate im Text stammen aus einem persönlichen Gespräch mit Peter Herrmann am 16. Januar 2024 in seinem Berliner Atelier.