Die Ausstellung Es gibt kein Wort… Annäherungen an ein Gefühl ist Teil des Jahresprojektes Das Hiergelände (der Begriff stammt von Peter Handke), das über das Jahr 2024 hinweg Anlass ist, in verschiedenen Formaten (Ausstellungen, Vorträgen, einem Parcours durch die Stadt und Literaturformaten) über Verwurzelung und Gemeingut, Hier-Sein, Angekommen-Sein und Fremd-Sein zu diskutieren, über Welten und Grenzen, die verbindliche Präsenz der/des Einzelnen und die Relevanz eines Museums an Ort und Stelle.

»Es gibt kein Wort, das sagen könnt’, was ich fühl’…, wenn ich an meine Heimat denk«, singen die Kölner »Lokalpatrioten« (Cat Ballou, Et jitt kein Wood, 2013). Ein Wort kann die starken Gefühle kaum fassen: Liebe und Stolz, vielleicht in Teilen auch Ablehnung, eine innige Verbundenheit. Doch mit was eigentlich? Fühlen wir uns vor allem über familiäre und soziale Kontakte verbunden, über den Herkunftsort oder den aktuellen Wohnort, über (schützenswerte oder romantisierte) Natur oder Tradition und Kultur, die gemeinsame Sprache und Literatur oder Fußball und Schützenverein? Die Frage, was »Heimat« ausmacht, wird jeder anders beantworten. Heute bekommt diese Frage vor dem Horizont zahlreicher Krisen, mit denen Überschreitungen und Verschiebungen von Grenzen und der Verlust von Freiheit und Heimat einhergehen, zusätzliche Brisanz.

Vielen erscheint Heimat als etwas Selbstverständliches, solange es sich gut anfühlt, Geborgenheit und Orientierung vermittelt. Doch Heimat ist auch ein Akt der Selbstbehauptung und damit anfällig für Ausgrenzungen. Wo und wie wir unsere Heimat finden – in einer Stadt, einer Region, einem Land, in Europa oder der Welt –, wählen wir heute weitgehend selbst, wenn auch nicht ohne äußere Zwänge. Was geschieht, wenn Heimat als Bezugsrahmen infolge von Migration oder Entfremdung der Menschen von ihrer Umgebung bedroht ist oder verloren geht? Was braucht und was heißt es eine neue Heimat zu finden, einen oder auch mehrere Orte zu(r) Wahlheimat(en) zu machen?

Anders als ein Wort, ein verkürzender Begriff oder eine rationale Definition, nähert sich die Kunst den Aspekten von Heimat, den oft widerstreitenden Gefühlen von Zugehörigkeit und Abgrenzung, der Sehnsucht nach der alten Heimat und dem Zweifel an einer neuen Heimat auf vielschichtige Weise an. Die Ausstellung Es gibt kein Wort … – Annäherungen an ein Gefühl stellt beispielhaft fünf zeitgenössische künstlerische Positionen vor, die sich auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Thema auseinandersetzen.

Wo wird so etwas wie »Heimat« greifbar? Auf der Suche nach Orten, wo ein Wir-Gefühl entsteht, ist die in Dortmund aufgewachsene Künstlerin Jody Korbach (*1991 in Bielefeld, lebt in Düsseldorf) an die Fußball-Anhänger des BVB geraten. Sie hat kurzum an der Kunstakademie Düsseldorf einen eigenen Fanclub gegründet und das dortige Eiskeller-Fußballteam zu ihrer Heimat erklärt. Auf den Fanschals ist zu lesen: »Home is where your heart is«. Ein weiteres ungewöhnliches Kunstprojekt, ihr 2018 in der Tradition der Schützenvereine gegründeter Schützenkorps Europa macht sich zur Aufgabe »europäische Werte an den Stammtisch zu bringen und von dort aus zu verteidigen«. Mit teils beißendem Humor hält uns Korbach den Spiegel des Konservatismus vor Augen (Angie (Ein Leben lang), 2021) und nimmt die Wohlstandsgesellschaft mit ihrem stark ausgeprägten Bedürfnis nach Sicherheit aufs Korn (Mittelstandsmantra, 2022).

Ahmet Doğu İpek (*1983 in Adıyaman, Türkei, lebt in Istanbul) lässt uns einen Schritt zurücktreten und befragt den Umgang mit unserem (Heimat)Planeten und unser Verhältnis zur Natur. Er konfrontiert Natur und Kultur, wenn er uniforme Architekturen in unbegrenztem Wachstum die Landschaft bis auf letzte einsame Felsen überwuchern lässt, wenn die Wurzel eines Baums wie in einer Metamorphose zum geschnitzten Möbel wird (Table II, 2017). Ob er durch seine künstlichen Eingriffe Natur unwiederbringlich verändert, wie mit der Serie Repair eine heilende Transformation vorschlägt oder uns mögliche Naturkatastrophen wie die Folgen eines Vulkanausbruchs auf der fiktiven Albino-Island (2021–22) vor Augen führt: Doğu İpeks Zeichnungen und Installationen sind faszinierend schön und verstörend zugleich. Es stellt sich die dringliche Frage, wo wir uns in der heutigen Welt verorten und auf welcher Erde wir in Zukunft leben möchten.

Den Spagat zwischen einer zweifelhaften Vergangenheit und einer unsicheren Zukunft inszeniert Ira Eduardovna (*1980 in Taschkent, Usbekistan; lebt in New York und Tel Aviv) in kammerspielartigen Videos mit biografischem Bezug. Aus verschiedenen Perspektiven handeln die Mehrkanal-Arbeiten von Abschied und Aufbruch. Sie sind persönliche Erzählungen von der Ausreise ihrer Familie aus der sich auflösenden UDSSR (The Iron Road, 2021) und sprechen doch zugleich auch kollektive Erfahrungen an, die unterschiedlichste Menschen machen. Die Akteur:innen ihrer Videos führen uns mitten in die persönlichen Krisen der Emigranten, die Befragung der eigenen Identität, die Sehnsucht noch einmal an den Ort der Vergangenheit zurückzukehren. In eindringlichen Szenen legt Eduardovna die Motive und Hoffnungen, Ängste und Sorgen der Aussiedler:innen frei. In der aktiven Wieder-Holung dieser Geschichten deutet sie einen Weg der Überwindung von Traumata an.

Auch in den sehr erzählerischen Werken von Zoya Cherkassky (*1976 in Kiew, Ukraine, lebt in Tel Aviv) fallen persönliche Biografie und Bilder des kollektiven Gedächtnisses zusammen. Im Alter von 14 Jahren verließ sie Kiew und emigrierte mit ihrer Familie nach Israel. In einer umfangreichen Werkserie (My Soviet Childhood, seit 2014) arbeitet sie ihre Kindheit auf, die ihr mit Putins Angriffskrieg endgültig genommen worden sei. In der neuen Heimat setzt sie sich mit der ambivalenten Welt der Einwanderer und deren Identitätskonflikten auseinander. Vor ihrem Atelier porträtierte sie die afrikanische Community von Tel Aviv und lernte dort ihren Mann kennen, einen Arbeitsmigranten aus Nigeria. Und so mischen sich Nationalitäten und Herkünfte, Juden, Ukrainer, Araber und afrikanische Igbo in ihrer Familie. Szenen aus dem gemeinsamen Alltagsleben werden in Cherkasskys Bildern jedoch immer wieder gebrochen durch die Erfahrung, dass alles im nächsten Moment zerfallen und Heimat (abermals) existentiell bedroht sein kann.

Yevgenia Belorusets (*1980 in Kiew, Ukraine, lebt in Kiew und Berlin) arbeitet als Autorin und Fotokünstlerin an der Schnittstelle von Kunst, Literatur und sozialem Aktivismus. Sie wurde durch ihr Tagebuch vom Anfang des Krieges (2022) bekannt, das sie auf der Biennale in Venedig 2022 präsentierte. Mit einer Intervention bringt sie im Billboard-Format Stimmen in den öffentlichen Raum von Leverkusen, die aus einer angesichts der aktuellen Situation des Landes arglos erscheinenden Ich-Perspektive von Kiew erzählen. Auf ein Foto gegen den grauen Himmel geschrieben, wollen diese unschuldigen Zeilen über blühende Kastanien und eine Stadt voller Schätzen nicht mit dem Bild zusammengehen – und noch weniger mit den entsetzlichen, hier ausgeblendeten Kriegsbildern. Die Realität zersplittert, angesichts des drohenden Verlusts der Heimat fühlen sich schwärmerische Erinnerungen falsch an, ein blauäugiger Blick in eine mögliche Zukunft fällt schwer. 

Mit ihren internationalen Perspektiven und Annäherungen an ein Gefühl, das nur unzureichend mit dem Begriff »Heimat« zu benennen und heute alles andere als selbstverständlich ist, eröffnet die Ausstellung die Auseinandersetzung mit dem Hiergelände – einem von fünf Morsbroicher Themenclustern, die uns in verschiedenen Formaten über einen längeren Zeitraum beschäftigen werden. Um für die Auswahl der fünf Positionen den eigenen Horizont zu erweitern, haben wir Rimma Arslanov, Nikita Kadan und Tilo Schulz, drei Künstler:innen aus dem Netzwerk, das sich aus der Arbeit in und an Morsbroich gebildet hat, um Vorschläge gebeten und sind diesen in vier Fällen gefolgt.

Eröffnung: Sonntag, 14. April, 15 Uhr

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