Der Welt inne werden – dieses schöpferische, rückhaltlose und selbstvergessene Spiel liebt und pflegt die Künstlerin Anja Güthoff von Kindheit an. In ihrem Atelier, einem Kreuzungspunkt von Naturgeschichte und Kunstwelt, spiegelt Güthoff unsere immerwährende Sehnsucht nach idyllischer Wildnis in doppeldeutigen Darstellungen. Menschenähnliche Affenfiguren wandern durch endzeitliche Landschaften, erkunden Sitzmöbel und andere menschliche Gerätschaften, scheinen distanziert und doch ganz nah. Die Figuren schlagen Brücken zwischen Natur und Zivilisation, zwischen Vertrautem und Unvertrautem, zwischen Anfang und Ende.
Seit über zwanzig Jahren kennen sich Coco (ein Schimpanse aus dem Augsburger Zoo) und Güthoff. Der Kontakt ging von Coco aus. Er klopfte an seine Gehegescheibe und forderte die Künstlerin auf, für ihn sichtbar auf Papier zu zeichnen. Vor (Güthoff) und hinter der Scheibe (Coco) – einer sorgsam gehüteten Grenze – sind seitdem erstaunliche Ergebnisse entstanden. Coco hat bewiesen, dass er ebenfalls hoch konzentriert und mit großem Feingefühl, mit Zeichenwerkzeug umgehen kann. Er und seine Gefährt:innen Akemo und Niki reagieren auf Güthoffs zeichnerisches Tun schon lange durch auffordernde Gesten an sie.
Inzwischen geben die Tiere der Künstlerin einzelne Richtungsschwünge vor. Nun folgt Güthoff den Bewegungen, lässt sich leiten, ahmt nach. Das selbstvergessene freiwillige Spiel, die Beziehung zwischen Gebärde und Spur sind aufregende Momente lang eine Art gemeinsames grafisches „Geplapper“.
Es geht Güthoff nicht wirklich um den Versuch einer Analyse des kreativen Potentials von Schimpansen, wie es Verhaltensforscher betreiben würden. Ihr Werk ist charakterisiert durch immer wiederkehrende Fragestellungen: Welche Zeichenspuren finden die Tiere interessant? Was zeichnen in diesem Zusammenhang gerade die Kritzeleien aus? Kritzeleien – mehr als nichts und weniger als etwas.