»Der Papst im Daunenmantel«, »Trump, der sich vor seiner Verhaftung wehrt«, gefälschte Nacktbilder von Taylor Swift… Spätestens seit im vergangenen Jahr zahlreiche neue Bildgeneratoren und KI-Programme den Markt überfluteten, kursieren zahlreiche Bildphantasien, Manipulationen und Deepfake-Videos. Oft sind diese von »echten« Aufnahmen kaum mehr zu unterscheiden. Insbesondere soziale Medien tragen zu ihrer massiven Verbreitung bei.
Mit digitalen Aufnahmetechniken hat sich die Bildproduktion in den letzten 30 Jahren gravierend verändert. Aktuell entstehen zunehmend technisch-erzeugte Bilder, die eine Basis und Herleitung in der Fotografie haben. Doch reicht der Begriff der »Fotografie« für sie nicht mehr aus. Meist ist der heutige Blick auf die Welt primär maschinenbasiert. Oft gehen die Aufnahmeansichten, übertragen von Satelliten, Drohnen und Überwachungskameras, von der Vogelperspektive aus. Wie gehen Künstler:innen mit diesen neuen Produktionsmöglichkeiten um?
Muss man überhaupt noch fotografieren, reicht es nicht, sich vorhandener Bilder zu bedienen, fragt etwa Jörg Sasse seit den 1990er Jahren, als er begann, ein riesiges Archiv von Amateurbildern zu digitalisieren. Oft genügt ein mäßig kreativer Prompt, um eine simple KI-generierte Fotografie zu erstellen. Mit minimalistischem Bildwitz und Humor stellt Corinna Schnitt einen Fundus unmöglicher Treppenhäuser vor. Joachim Blank füttert eine KI mit ausgewählten Fotografien aus GEO-Zeitschriften und veranschaulicht visuell die Macht der Algorithmen über die Bilder. Julius Braukmann untersucht, wie sich Früchte selber fotografieren. Er befragt damit, ebenso wie Alex Grein mit seinenScreen-Inszenierungen, ein klassisches Genre der Bildenden Kunst: das Stillleben. Achim Mohné erstellt mit virtuellen Drohnen im virtuellen Raum Architekturmodelle. Katja Stuke untersucht Möglichkeiten einer digitalen Form von Dokumentarfotografie, in dem sie mit Suchmaschinen Kriegsschauplätzen der Ukraine nachrecherchiert.
Auch Strategien der sogenannten expanded photography werden vorgestellt, die oft auf Verräumlichung und Distribution zielt. Juergen Staack lässt etwa Fotografien wieder zu Staub zerfallen. Und Katarina Dubovska recycelt publizierte Fotografien, in dem sie Farbe und Papier extrahiert. Zugleich hinterfragt sie die Entmaterialisierung digitaler Bilder in sozialen Medien.
Ein Zentrum der Ausstellung bildet eine für Chemnitz zusammengestellte Gesamtinstallation der Gruppe dark taxa-project. Das ist ein offener Zusammenschluss von Künstler:innen, die in temporären Konstellationen Arbeitsweisen vorstellen, die aktuelle Möglichkeiten der Bildproduktion hinterfragen und praktizieren. Viele von ihnen kommen aus der Fotografie und lehren als Professor:innen an Kunstakademien und Fachhochschulen. Michael Reisch, der Mitinitiator der Gruppe, beginnt selber meist an einem Nullpunkt der Fotografie, die zunächst ergebnisoffen ist und sich mittels einfacher Bildbearbeitungstools selbst erschafft. Oft interagieren seine Bilder mit ihren Apparaten.
Bilder gelten seit der Renaissance, in der die Zentralperspektive erfunden wurde, als »Tor zur Welt« und zugleich als Möglichkeit höchst individueller Weltanschauung. Wie wir die Welt anschauen, ist immer auch bedingt von den bildgebenden Verfahren und Kenntnissen unserer jeweiligen Zeit. Künstler:innen gelingt es, diese auf ungewöhnliche Weise vorzustellen, experimentell zu erproben und nicht selten gegen den Strich zu bürsten.
Damit können die Konstruktionsprinzipien von Bildern, die immer Aufgabe der Kunst waren, verdeutlicht und von ihren Kontexten abhängig vorgestellt werden. Wirklichkeit wird dabei nur mehr selten repräsentiert und bildet dabei dennoch einen Kern.
Mit:
Joachim Blank
Banz & Bowinkel
Julius Brauckmann
Nancy Burson
darktaxa-projekt: the Chemnitz constellation
(Ralf Brueck, Raphael Brunk, Heather Dewey-Hagborg, Philipp Goldbach, Alex Grein, Beate Gütschow, Spiros Hadjidjanos, Fabian Hesse & Mitra Wakil, Kristina Lenz & Alex Simon Klug, Achim Mohné, Johannes Post, Michael Reisch, Anna Ridler, Aaron Scheer, Björn Siebert, David Young)
Katarína Dubovská
Jörg Sasse
Corinna Schnitt
Juergen Staack
Katja Stuke