Wer Comics macht, muss abstrahieren können. Doch geht es dabei nicht etwa um Abstraktion als Konzept, wie man sie in der Malerei oder anderen bildenden Künsten findet. Abstraktion im Comic hat eine erzählerische Funktion: Wie reduziert man die Komplexität der Wirklichkeit, ohne sie zu vereinfachen? Wie kann man mit ein paar Strichen, mit Schraffur oder Farbe ein lebendiges Bild erschaffen?
Die Ausstellung widmet sich diesen handwerklichen Aspekten des Zeichnens und erlaubt künstlerische Reflexionen rund um Technik und Material. Am Beispiel der Darstellung von Wasser im Comic wird eine Vielfalt von Möglichkeiten aufgezeigt, dieses fluide Element auf der Seite einzufangen. Dabei werden Comics und Illustrationen ganz unterschiedlicher Zeitepochen, Weltregionen und Stilrichtungen einander gegenübergestellt: Camille Jourdy trifft auf Will Eisner. Martin tom Dieck tritt in einen Dialog mit Catherine Meurisse, Suehiro Maruo und Loustal. Jacques Tardi begegnet Hervé Tanquerelle und Emmanuel Lepage. Weitere in der Ausstellung vertretene Künstler:innen sind Winsor McCay, Dominique Goblet und Kai Pfeiffer, Davide Reviati, Olivier Schwartz und Barbara Yelin. Komplettiert wird die Auswahl durch zwei Animationsfilme von Tove Jansson und Hayao Miyazaki. Sie alle eint die meisterhafte Darstellung eines Elements von globaler gesellschaftlicher Bedeutung, das sich durch seine Fluidität der statischen Abbildung mit Pinsel und Zeichenstift scheinbar entzieht. Die ausgestellten Werke – teils als Originale, teils in Reproduktionen – zeigen jedoch, welche ästhetischen Welten die Abstraktion eröffnet und wie sie unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit verändern und beleben kann.
Thematisch werden die Besucher:innen durch die verschiedenen Formen und Zustände von Wasser geführt: Nach einem Ausflug auf Ozeane, Meere und Seen werden sie von einem Fluss in eine neblige Regenlandschaft gespült. Anschließend befinden sie sich unter Wasser und beenden ihren Gang in einer Welt aus Schnee und Eis. Der Ausstellungsbesuch ist dabei kein rein visuelles, sondern auch ein auditives Erlebnis: Soundinstallationen im Raum, die von dem Berliner Musiker und Cross-Media-Künstler Erich Lesovsky für die Ausstellung komponiert worden sind, verstärken und erweitern die in den Werken evozierten Bilderwelten.
Lilian Pithan