Seit der Erfindung des Mediums im Jahr 1839 hat die Fotografie nicht nur Menschen abgebildet, sondern auch deren Stellung in Gesellschaft und Politik maßgeblich beeinflusst, da die sie Menschen anhand ihrer körperlichen Merkmale, ihres Verhaltens und ihrer Kleidung visuell kategorisiert. Indem sie konstruierte Geschlechterrollen markiert, wurde sie auch zu einem Medium der Stigmatisierung und Diskriminierung.
Erst mit der Fotografie des späten 20. Jahrhunderts – und später durch ihre Kommerzialisierung durch die sozialen Medien – wurden gängige Geschlechterrollen und ihre ästhetische Formulierung in Frage gestellt und dekonstruiert. Mal mehr, mal weniger radikal, und nicht immer linear fortschrittlich. Oft sind die Ergebnisse dieser vermeintlichen Liberalisierung selbst nur ein Beleg für eine Verschiebung der Machtinteressen am menschlichen Körper.
Leben und Aktivismus sind für das Werk von Del LaGrace Volcano untrennbar miteinander verbunden. Volcano handelt nach dem Motto »calling in« statt »calling out« und bewegt sich buchstäblich auf Augenhöhe mit den Porträtierten vor der Kamera.
Volcano lässt sich am besten als eine Ikone der queeren, nicht-binären, genderfluiden Szenen und (Sub-)Kulturen beschreiben und schafft seit 1974 interventionistische Kunst, vor allem mit dem Medium der Fotografie. Volcano ist ein:e Fotograf:in, Performer:in, Aktivist:in und Filmemacher:in, gesegnet mit einer selbstironischen, etwas lakonischen Sprachbegabung, die eine Superkraft gegen alle Versuche entwickelt, die gender-queere Community zu denunzieren.
Volcanos kollaborative, respektvolle Art der Interaktion und der Darstellung von Menschen steht in krassem Gegensatz zu der historisch gesehen ausbeuterischen Art und Weise, in der sowohl die ethnografische als auch die medizinische Fotografie diejenigen dargestellt hat, die als außerhalb der Norm stehend gelten. In Vulcanos fotografischem Werk werden Körper, die im Mainstream oft nicht gewürdigt werden und undisziplinierbar scheinen, zu schönen »Agent:innen« in diplomatischer Mission.
In der Kunstszene gilt all dies noch weitgehend als »Orchideenthema“, auch wenn Einladungen zu Ausstellungen in der Tate Britain, dem Victoria and Albert Museum oder dem Tampere Art Museum und anderen Orten allmählich ein Eindringen in den Kunstkanon der Hochkultur signalisieren.
Das spielerische »doing gender« von Volcano, das auch die schmerzhaften Momente nicht ausspart, bringt den Betrachtenden dazu, nicht nur zu hinterfragen, was gesehen wird, sondern auch wie und vor welchem Hintergrund es gesehen wird – und in Zukunft gesehen werden will.
Vulcanos fünfzigjähriges Bildarchiv umfasst enge Freund:innen wie Kathy Acker, Jack Halberstam, Lola Flash, Paul B. Preciado und Kate Bornstein sowie feministische und Trans-Ikonen wie Kate Millet, Joan Nestle und Leslie Feinberg. Volcano ist auch in Kultfilmen wie Dandy Dust (1998) von Ashley Hans Scheirl und in zahlreichen Dokumentarfilmen zu sehen, von Gabriel Baurs Venus Boyz (2002) bis hin zum aktuellen Dokumentarfilm Narcissism (2022), der von Toni Karat in Berlin gedreht wurde.
1974 begann Volcano, damals noch unter dem Namen Della Grace, mit dem Fotografieren, zunächst mit verschiedenen analogen 35-mm-Spiegelreflexkameras und in den frühen 90er Jahren mit einer vollmanuellen Mamiya RB67, die beide noch heute in Gebrauch sind. Volcano arbeitete und lebte in den queeren subkulturellen Räumen von San Francisco, New York, London, Paris, Bologna und Berlin und schuf überall neue Arbeiten. Das Werk von Volcano schwankt zwischen formalen Porträts und dem, was auf den ersten Blick dokumentarisch erscheint, in Wirklichkeit aber eine queere performative Intervention ist, die heteronormative Annahmen durchbrechen soll.