»Man träumt nicht nur aus eigener Seele […] man träumt anonym und gemeinsam, wenn auch auf eigene Art.«
Die Ausstellung »Thomas Manns Der Zauberberg. Fiebertraum und Höhenrausch« des Buddenbrookhauses erzählt von den zentralen Themen und Konflikten des Romans: Tod und Leben, Begehren und Liebe, Krieg und Frieden. Diese zeitlosen Themen verknüpft die Ausstellung durch aktuelle Bezüge eng mit unserer Gegenwart. Der Roman, der am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielt, weist auch hundert Jahre nach seinem Erscheinen Parallelen mit unserer Zeit auf: Nationalismus, Wissenschaftsferne, Ignoranz und Hassrede sind über alle zeitlichen Brüche und Epochenwechsel hinweg aktuell.
Eine Reise in sieben Ausstellungsstationen
Sieben ist die magische und strukturgebende Zahl des »Zauberbergs«. Entsprechend gliedert sich auch die Ausstellung in sieben Abschnitte, die den knapp 1000-seitigen Roman der Weltliteratur auf 250qm sichtbar, hörbar, fühlbar machen – nicht nachgebaut in Davoser Kurkulisse, sondern seinem philosophischen Gehalt gewidmet. Immer wieder neu und überraschend sind dabei die Interventionen der Gegenwart.
Am Anfang steht die Entstehungsgeschichte des Romans: Die Besuchenden erhalten einen Blick in das Arbeitszimmer von Thomas Mann und in die Fülle an Texten und Diskursen, die Thomas Mann im »Zauberberg« verarbeitet hat, während sich zeitgleich die Welt radikal veränderte. Das lange 19. Jahrhundert endet mit dem Zivilisationsbruch des Ersten Weltkriegs, alte Ordnungen verschwinden, neue suchen sich zu etablieren. Zugleich schreitet die Technisierung in der medizinischen Diagnostik in Meilenstiefeln voran, von der auch der »Zauberberg« erzählt. Gemeinsam mit Hans Castorp geht man auf die Reise in das Lungensanatorium Berghof. Von medizinhistorischen Objekten bis hin zur heutigen Smartwatch zeigen die Exponate, wie damals im Roman und heute Körperfunktionen gemessen und bewertet werden. Indem die Aufmerksamkeit ständig um die erfassten Körperdaten kreist, werden sie zu einem zentralen Lebensinhalt.
Neben Diagnostik und Körperkontrolle greift die Ausstellung das Thema der Behandlung auf. Der Mythos von der guten Luft der Schweizer Alpen wirkt heute als Heilmittel der Schwindsucht befremdlich, aber trotzdem erfreuen sich Luftgütesensoren reger Abnahme. Anhand von medizinischen Instrumenten und Heilgegenständen aus Vergangenheit und Gegenwart zeigt die Ausstellung, wie die Themen des Romans die Menschen damals und heute bewegen und führt die Aktualität des Textes buchstäblich vor Augen.
Das gilt ebenso für die vier Ausstellungsabschnitte, die Hans Castorps Innenleben gewidmet sind, seiner traumhaften Erkundung von den Wesensmerkmalen des Lebens. Dazu zählen Endlichkeit und Tod, Erotik und Begehren, gesellschaftliches Miteinander und Gewalt – und die Sehnsucht nach einem Sinn. Ein besonderer Fokus liegt auf dem erotischen Verlangen, das Hans Castorp im Sanatorium verweilen lässt und das sich kaum vom Eskapismus unserer Tage unterscheidet. Folgerichtig lädt ein übergroßes, organisch geformtes Sitzmöbel zum Verweilen ein. Umgeben von leicht psychedelischer Wandgrafik, in der sich Gliedmaßen umschlingen, fällt das Aufstehen schwer. Die Nahaufnahmen der Wandgestaltung mögen pornografisch anmuten, sind aber Close Ups antiker Plastiken
Die im Roman deutlich herausgearbeiteten politischen Auseinandersetzungen der beiden Widersacher Naphta und Settembrini zeugen von der »großen Gereiztheit« unserer Zeit. An die Stelle ausufernder Figurendialoge des Romans treten in der Ausstellung allerdings aktuelle Zitate. Die Gedankenwelten und Dispute der Figuren sind nicht von gestern, sondern von erschreckender Gegenwärtigkeit. Auch hier wird deutlich, wie sehr die Tonalität der politischen Agitatoren von damals der heutigen ähnelt.
Die Ausstellung endet wie der »Zauberberg« mit Gewalt und Krieg. Am Schluss steht die Frage »Wird aus diesem Weltfest des Todes einmal die Liebe steigen?« – und es ist an dem Publikum selbst, eine Antwort zu finden und diese im Ausstellungsraum zu entwickeln.
»Es war uns wichtig in unserer Jubiläumsausstellung zum Roman deutlich zu machen, worin die Modernität des Textes besteht, nämlich darin, sich Themen und Fragen zu widmen, die die Menschheit seit Anbeginn der Zeit beschäftigen. Der ›Zauberberg‹ mag nun 100 Jahre alt sein, an seiner Frische und Relevanz hat er nichts verloren. Das wollten wir zum Ausdruck bringen. Natürlich mit dem Ziel, dass die Besucher:innen Lust bekommen, den Roman zu lesen oder wieder zu lesen.«
Dr. Caren Heuer, Direktorin des Buddenbrookhauses
Die Zauberberg-Ausstellung des Buddenbrookhauses wird im St. Annen Museum Lübeck gezeigt, da das Buddenbrookhaus wegen Umbaus geschlossen ist. Die Ausstellung nutzt die Möglichkeit und bezieht sieben Stationen in der sakralen, mittelalterlichen Sammlung des St. Annen Museums als Zauberberg-Interventionen mit ein. Die ausgewählten Objekte – vom Epitaph bis zur trauernden Mutter Gottes – zeigen, dass Thomas Manns Roman »Der Zauberberg« nicht nur in die Gegenwart, sondern auch in die Vergangenheit weist.