Das umfangreiche Archiv im VALIE EXPORT Center in Linz ist Ausgangspunkt und Quelle des Projekts WOMAN IN THE YEAR 2000 und steht in enger struktureller Verknüpfung zur Ausstellung im Obergeschoss. Es geht in beiden Ausstellungen um die verschiedenen Möglichkeiten einer Befragung künstlerischer Archive, die in ihrer Variabilität, Multiperspektivität und Nicht-Zeitlichkeit einen ebenso radikalen wie experimentellen Umgang anstoßen.
In diesem Sinne begreift die Ausstellung das VALIE EXPORT Archiv als einen beispielhaften Werkkörper, dem sie sich aus feministischer Perspektive nähert, um eine von Künstlerinnen geprägte Geschichte der Medienkunst zu entfalten. In dem Bestreben eine »weibliche politische Ökonomie« zu entwerfen hat VALIE EXPORT stets darauf verwiesen, dass die kulturelle und soziale Stellung der Frau und ihres Körpers neu verhandelt werden muss, um individuelle Identitäten zu bilden und eine (mediale) Zukunft mitzugestalten. Entsprechend sah EXPORT das Versprechen der »elektronischen Revolution« durch Digitalität auch immer mit der Notwendigkeit einer Schaffung neuer und emanzipierter Räume verbunden.
Das für die Ausstellung zentrale Filmexposé ALASKA (unrealisiert, 1987) und das intermediale Bühnenstück Stimmen aus dem Innenraum (1988) widmen sich der Etablierung einer neuen weiblichen Subjektivität, indem sich verschiedene wegweisende Frauen wie die Mathematikerin und erste Computerprogrammiererin Ada Lovelace, der Film- und Pornostar Linda Lovelace, die Künstlerin Unica Zürn, die mythische Autorin Danielle Sarréra, EXPORT selbst, später auch die Schauspielerin und Sängerin Mae West sowie die Schriftstellerin Mary Shelley in einem virtuellen Raum begegnen und sich mit polyphonen Stimmen und multiplen Identitäten einer patriarchalen Unterdrückung widersetzen. Diese Vielstimmigkeit von Frauen manifestiert sich auch in VALIE EXPORTs kuratorischen Projekten, in denen sie sich kollaborativ dafür einsetzt, Künstlerinnen zu ermächtigen und ihnen Räume zu bieten. Die von EXPORT konzipierte Gruppenausstellung MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität (1975) war beispielsweise die erste Ausstellung mit ausschließlich weiblichen Positionen in Europa und verwies auf die Vielfalt ihrer medialen Ansätze. WOMAN IN THE YEAR 2000 bezieht sich auf Carolee Schneemanns Beitrag für MAGNA und visioniert eine Welt, in der junge Künstlerinnen keine Formen von Unterdrückungen und Einschränkungen mehr erleben müssen.
Auch in dem experimentellen Kurzfilm Syntagma (1983) geht es um Fragen von Identität und Selbst-bestimmung, die sich über die Körpersprache definiert und mit der Weiblichkeit als (Hand-)Zeichen experimentiert. Ganz ähnlich werden die inneren Zustände über die äußeren Körperhaltungen in den Körperkonfigurationen sichtbar.
In ihrem Text körpersplitter aus dem hippokritischen gesicht der gegenwart spricht VALIE EXPORT über den Körper als Ort des Zeigens und des Zeigens selbst; über den Körper als Notation. Auch für diese enge Verbindung zwischen Körper, Text und Sprache stellt das Projekt entsprechende Fragen an das Archiv: Schreib- und textbasierte Arbeiten sind fester Bestandteil der künstlerischen Praxis VALIE EXPORTs und existieren in Form von Vorträgen, Manifesten, Notizen, Tagebüchern, aber auch Gedichten, die wiederum in Videoarbeiten einfließen können, wie in Hauchtext: Liebesgedicht (1970/73) und Sehtext: Fingergedicht (1968 und 1973) – als performative Umsetzungen von Poesie, in denen nicht gesprochen wird.
Ein roter Faden des Projekts ist das Konzept eines medialen Anagramms, das VALIE EXPORT in zahlreichen Arbeiten anwendet. Wie in einer Erzählstruktur die Wörter eines Satzes umgestellt, ausgetauscht, erweitert oder verkürzt werden können, so montiert und collagiert EXPORT Inhalte, um sie in immer neue Kontexte zu stellen und verwendet dabei verschiedene Medien wie Foto, Film, Dia oder Projektion innerhalb eines einzelnen Werks. Aspekte der Mehrdimensionalität, Transparenz und Differenz sind dem Archiv inhärent und beeinflussen auch die Ausstellung in ihrer – ebenso anagrammatischen – Herangehensweise: Subjektive Interessen und Sympathien, Zufälle oder Imaginationen, Fehlendes, Überschnittenes oder Untergeordnetes werden bewusst ausgespielt und zu Motoren eines darstellenden Prinzips, nach dem sich die Werke nicht statisch verorten lassen, sondern auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedliche Zeiten mäandern.
Kuratiert von Anja Casser und Yvonne Fomferra
Eröffnung: Donnerstag, 19. September 2024, 19 Uhr
Das Projekt wurde initiiert von der Künstlerin Katrin Mayer und große Teile der Archivmaterialien basieren auf ihrer Recherche als Forschungsstipendiatin am VALIE EXPORT Center Linz 2023/2024.
In Kooperation mit dem VALIE EXPORT Center Linz und mit Leihgaben aus dem Studio von VALIE EXPORT, Wien.
VALIE EXPORT (*1940 in Linz) ist Medienkünstlerin, Performancekünstlerin, Filmemacherin und international eine der wichtigsten Vorreiterinnen in diesen Bereichen. Sie lebt und arbeitet in Wien. Seit 1968 ist sie in Einzelausstellungen und auf internationalen Kunstausstellungen vertreten. Dazu gehören u.a.: Centre Georges Pompidou, Paris; The Museum of Modern Art, New York, Institute of Contemporary Art, London; Biennale di Venezia, Venedig; documenta, Kassel; MoCA, Los Angeles; Stedelijk Museum, Amsterdam; MUMOK, Wien; Generali Foundation, Wien; P.S.1 Contemporary Art Center, New York; Shanghai Art Museum, Shanghai; Palais des Beaux-Arts, Brüssel; Tate Modern, London; Metropolitan Museum of Art, Seoul, Korea; Metropolitan Museum, New York; ars electronica, Linz.
Ihre Arbeiten wurden auf Film- und Videofestivals gezeigt: International London Filmfestival; Filmex, Los Angeles; Internationale Filmfestspiele Berlin, Cannes, Montreal, Vancouver, San Francisco, Locarno, Hongkong, Sydney, New York, etc. Darüber hinaus beteiligt sie sich seit 1975 an kuratorischen Projekten und internationalen Symposien. Mit dem Ankauf des Vorlasses von VALIE EXPORT im Jahr 2015 begründete ihre Geburtsstadt Linz mit dem VALIE EXPORT Center (Eröffnung 2017) eine internationale Forschungsstätte für Medien- und Performancekunst.