Der Badische Kunstverein freut sich, Tris Vonna-Michell (*1982) in einer umfangreichen Ausstellung zu präsentieren. Vonna-Michell’s House umfasst zwei Jahrzehnte künstlerischer Praxis und zeigt neben neuen, für die Ausstellung produzierten Arbeiten bereits bestehende oder rekonfigurierte Werke. Vonna-Michell arbeitet mit analogen und digitalen Technologien; zugleich erprobt er die verschiedenen Möglichkeiten einer multimedialen Installation, die Formate wie Performance, Sound Poetry, Printed Matter, Fotografie und Film umfasst. Erstmals in einer öffentlichen Institution bezieht die Ausstellung die fotografischen und verlegerischen Projekte von Tris’ Vater Ed Vonna-Michell (1950–2020) ein, dessen Arbeiten ab den späten 1960er Jahren gezeigt und mit Tris’ aktuellen Untersuchungen verflochten werden.
Im Jahr 2021 erhielt Tris Vonna-Michell 244 Kartons mit diversem Material, das sein Vater zusammengetragen hatte, und das zum größten Teil aus unvollendeten Werken, Forschungsunterlagen oder unbestimmten Gegenständen bestand. Ed Vonna-Michell war in verschiedene gegenkulturelle Bewegungen wie die autodestruktive Kunst, das Expanded Cinema, die Sound Poetry oder die britischen Poetry-Revival-Bewegungen involviert. Über seinen Verlag Balsam Flex arbeitete er mit Künstlern wie Henri Chopin, Bob Cobbing und Allen Fisher zusammen, um wegweisende Künstler:innenbücher und Tonaufnahmen zu produzieren. In Ed Vonna-Michells Kartons fanden sich beispielsweise zahlreiche großformatige Kamerakomponenten und abstrakte Fotografien, die scheinbar absichtlich zerknittert, ungeschützt, zerkratzt oder verunreinigt waren, als ob sie später gefunden und entschlüsselt werden sollten. In diesem Widerstand gegen die herkömmlichen Methoden, die ein solcher fotografischer Apparat eigentlich bietet, sieht Tris Vonna-Michell durchaus Parallelen zu seiner eigenen künstlerischen Praxis: In der Begegnung mit Widersprüchen, Abstraktionen und Erneuerungen in archiv- und zeitbasierten Medien.
Konkret besteht Vonna-Michell’s House aus mehreren miteinander verbundenen Räumen, die Ed Vonna-Michells Werk im Kontext von Tris Vonna-Michells Archiv und seinen charakteristischen performativen, skulpturalen und filmischen Installationen präsentiert. Das Ergebnis ist eine sowohl historisch verankerte als auch zeitgenössisch aktivierte Erzählung, die aus generationenübergreifenden Aspekte der Sound Poetry, des künstlerischen Publizierens und gegenkultureller Momente besteht.
Im ersten Raum der Ausstellung ist die Filminstallation Prelude: Photography is my Punishment (2024) zu sehen, die wie eine interpretative Einführung fungiert, indem sie mit einem vom Künstler angefertigten Modell des zentralen großen Saals des Kunstvereins bereits auf den nächsten angrenzenden Raum anspielt. Hier entfaltet sich ein ambitioniertes, vielschichtiges Environment, das als Vonna-Michell room verschiedene Arbeiten beinhaltet, wie Nudging & Spooling (2023–2024), eine Mittelformat-Diaprojektion, Soundarbeit und digitale Videoprojektion; die Installation Collections & Collaborations (study I) (2023) in Form eines Leuchtkastens sowie Slits (2024), eine Serie mit Fotoabzügen, die um eine zentrale Vorrichtung positioniert sind und in einer kaleidoskopartigen Montage eine Vielzahl von archivarischen Blickwinkeln auf Themen wie persönliche Identität und Geschichte einnehmen. In den folgenden Kabinetten entfaltet sich eine eher formale, historische und chronologische Erzählung, die eine gewisse, wie Tris Vonna-Michell es formuliert, »technologische Alchemie« aufzeigt, die sich in den Übergängen oder Zwischenräumen von einzelnen künstlerischen Praktiken entfaltet. Im ersten Kabinett werden Gemeinschaftsarbeiten von Henri Chopin und Ed Vonna-Michell gezeigt, darunter To Ray the Rays (1985), sowie Drucke der beiden Künstler. Darauf folgt im 2. Kabinett eine Neuauflage von Tris Vonna-Michells Filminstallation Finding Chopin (2005–2024), eine Tischinstallation mit Fotografien, Fundstücken, Reisezubehör und Projektionen. Ihren Ursprung hat die Arbeit in Vonna-Michells Versuch, Chopin Mitte der 2000er Jahre in Paris aufzuspüren. Der diesem Werk innewohnende psychogeografische Charakter ist in vielen anderen Arbeiten von Tris Vonna-Michell präsent, wie beispielsweise in hahn-huhn (2003–2016), Wasteful Illuminations (2008–2018) und Capitol Complex (2012–2015).
Der so genannte Waldstraßensaal als letzter Raum im kreisförmigen Rundgang des Kunstvereins präsentiert eine Reihe von Arbeiten, die ein gemeinsames Interesse an Veröffentlichungen und Printed Matter vereint. Während Ed Vonna-Michells Aktivitäten in seinem anspruchsvollen Imprint Balsam Flex kulminieren – Tris Vonna-Michell betreibt auch eine kollaborative, zeitgenössische Publikationsplattform namens Mount Analogue –, verkomplizieren Boxed Matter (2022), eine Sammlung biologisch abbaubarer Publikationen, und die Klanginstallation Sifting A to B (2024) die Dinge, indem sie eine im Zerfall begriffene Sammlung von Pamphleten, Zeitschriften und künstlerischen Arbeiten präsentieren, die auf schelmische Weise dem unvermeidlichen Prozess der Entropie der Natur überlassen werden – ein Eingeständnis, dass alles Wissen vergeht, bevor es in einer anderen Form neu geboren wird.
Diese Themen, die sowohl persönliche Parallelen zur Kunst- und Weltgeschichte, als auch den Informationstransfer von einer Generation zur anderen aufzeigen, spielen seit längerer Zeit eine zentrale Rolle in Tris Vonna-Michells Arbeiten. Sein konstantes Interesse an Sound Poetry verorten die Ausstellung zudem innerhalb einer Reihe von Projekten, die der Badische Kunstverein seit mehreren Jahren verfolgt.
Die Ausstellung wird durch ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm am 8. November mit Präsentationen des Künstlers Tris Vonna-Michell, den Ausstellungskurator:innen Andrew Hunt und Anja Casser sowie von dem Autor und dem Kunstkritiker Jan Verwoert und Künstler und Wissenschaftler Marc Matter vertieft.
Eine weitere Auflage des Projekts wird in der Kunstgalerie Moon Grove, Manchester, zwischen Februar und April 2025 stattfinden.
Kuratiert von Andrew Hunt und Anja Casser
Eröffnung: Donnerstag, 19. September 2024, 19 Uhr
Tris Vonna-Michell lebt in Oslo und Stockholm. Werke von ihm finden sich in den Sammlungen zahlreicher öffentlicher Institutionen, darunter: das Serralves Museum, Porto; das Moderna Museet, Stockholm; das San Francisco Museum of Modern Art (MoMA); das Centre National Des Arts Plastiques (CNAP), Paris; die Tate Modern, London sowie die Hamburger Kunsthalle. Vonna-Michells Arbeiten wurden bereits vielfach in Museen, bei Biennalen und in Galerien gezeigt, zuletzt in der Galeria Francisco Fino, Lissabon (2023–2024) und bei Vermilion Sands, Kopenhagen (2024).
Die Ausstellung wird gefördert von The Audio and Visual Fund Oslo (Arts Council Norway), OCA (Office for Contemporary Art Norway), Oslo National Academy of the Arts, The Elephant Trust, Manchester School of Art at Manchester Metropolitan University, Helge Ax:son Johnsons Stiftelse, Holger och Thyra Lauritzens stiftelse und Konstnärsnämnden | The Swedish Arts Grants Committee (IASPIS).