Was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden? Yael Bartana inszeniert diese Frage in ihrem performativen Stück »Two Minutes To Midnight«: Die rein weibliche Regierung eines fiktiven Landes soll Stellung zu einer akuten nuklearen Bedrohung durch eine fremde Nation beziehen. Ein Gremium aus Schauspielerinnen und realen Expertinnen für Verteidigung, Recht, Politik und Psychologie befindet sich in einem demokratischen »Friedensraum«. Dieser spiegelt den toxisch männlichen »Kriegsraum« in Stanley Kubricks klassischer Satire »Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben« über den Kalten Krieg wider. Die Frauen müssen entscheiden, wie sie der brisanten Situation begegnen wollen.
Bartanas visionäres Werk ist die Synthese eines interdisziplinären vierjährigen Prozesses, der das geopolitische Machtspiel analysiert – und uns eine Alternative zum Macho-Machtdiskurs präsentiert. Das Filmmaterial basiert auf den Aufnahmen der hybrid-experimentellen Live-Performance »What if Women Ruled the World?« in Aarhus und Berlin (2017 und 2018) und der Performance »Bury Our Weapons, Not Our Bodies!« (Philadelphia 2018).
Yael Bartana entwirft in monumentalen Videoinstallationen vielschichtige Reflexionen über die Gegenwärtigkeit der Geschichte. Sie experimentiert mit der Bildsprache von Macht und Propaganda, geht an ihre Grenzen und deutet tradierte Assoziationswege gezielt um. Es entstehen alternative Gegenwarten und beunruhigende Zukunftsszenarien. Für die Präsentation im Interimsgebäude VS der Villa Stuck folgt sie der Einladung, eine ihrer Videoarbeiten der bewegten Geschichte des Gebäudes in der Goethestraße 54 gegenüberzustellen. In der NS-Zeit war im Haus mit der Pension Patria eine Zwangsunterkunft für jüdische Personen auf dem Weg zur Deportation untergebracht. »Two Minutes To Midnight« bringt den historischen Kontext in die Gegenwart und zur Frage: Welche politische Zukunft wollen wir gestalten?
Yael Bartana ist eine Beobachterin der Gegenwart. Sie selbst nennt sich Pre-Enactor – auf Geschichte Bezug nehmend, um Zukunft zu imaginieren. Die Kunst setzt sie wie ein Skalpell an Mechanismen von Machtstrukturen an und bewegt sich dabei auf der feinen, brüchigen Trennlinie zwischen Soziologie und Imagination. In ihren Filmen, Installationen, Fotografien, Performances und öffentlichen Denkmälern beschäftigt sie sich mit Themen wie nationaler Identität, Trauma, Vertreibung – oft in Form von Zeremonien, Gedenkfeiern, öffentlichen Ritualen und kollektiven Versammlungen.
Ihre Arbeiten wurden weltweit gezeigt, darunter bei Einzelausstellungen im Gammel Strand, Kopenhagen (2024); im Jüdischen Museum Berlin (2021); in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden (2020); im Philadelphia Museum of Art (2018); in der Wiener Secession (2012); im Tel Aviv Museum of Art (2012); im Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek (2012) sowie in Gruppenausstellungen bei der 60. Internationalen Kunstausstellung – La Biennale di Venezia / Deutscher Pavillon (2024), Biennale von São Paulo (2014, 2010, 2006); der Berlin Biennale (2012); der 54. Internationalen Kunstausstellung – La Biennale di Venezia / Polnischer Pavillon (2011) und der documenta 12, Kassel (2007). 2010 gewann sie den Artes Mundi 4 Prize, und 2019 wählte der britische Guardian ihre Trilogie »And Europe Will Be Stunned« unter die zehn wichtigsten Kunstwerke des 21. Jahrhunderts.
Sie ist in den Sammlungen zahlreicher Museen vertreten, darunter im Museum of Modern Art, New York; in der Tate Modern, London; im Centre Pompidou, Paris und im Stedelijk Museum, Amsterdam. Yael Bartana wurde mit dem Rompreis der Villa Massimo 2023/24 ausgezeichnet und hielt sich dort bis Ende Juni 2024 auf. Sie lebt in Berlin und Amsterdam.
Kuratiert von Dr. Helena Pereña