Zweifellos zählt das Werk von Almut Heise (* Celle 1944) zu den konsequenten Positionen der Gegenwartskunst. Unbeirrt hat die Malerin über Jahrzehnte hinweg mit stoischer Gelassenheit und nonchalanter Unnachgiebigkeit ein einzigartiges malerisches und graphisches Œuvre geschaffen, das seinesgleichen sucht. Ihre veristischen Motive scheinen aus der Zeit gefallen, bestechen aber zugleich durch die eindrückliche Präsenz der dargestellten Interieurs und Menschen in einer überzeitlich anmutenden Gegenwart, die den alltäglichen Lebensraum der Protagonisten vergessen macht. Heises spröde Sujets werfen mehr Fragen auf, als dass sie Antworten geben. Fraglos hat die Künstlerin damit das Format zu einem »artistʼs artist« – eine Wertschätzung der besonderen Art.

Bezeichnend für Heise ist, dass sie wie nur wenige andere ihrer Generation schon zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit der heroischen Geste des deutschen Informel, das zu diesem Zeitpunkt längst zur eklektischen Formel erstarrt ist, mit hanseatischer Nüchternheit entsagt. Stattdessen hält sie mit einer altmeisterlichen Feinmalerei unerschrocken souverän dagegen – eine lautlose Rebellion in Zeiten lärmender Stilrichtungen, bei der man gewillt sein muss, sie ganz ohne Lobby auszuhalten. Selbst als sie 1970 nach ihrem Studium an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, wo zu diesem Zeitpunkt führende Maler der britischen Pop Art lehren, angezogen von dieser schrillen Stilrichtung für ein Jahr ins Swinging London zieht, klärt der Aufenthalt für sie einzig ihre eigene künstlerische Position, zu der sie längst gefunden hat.

Weniger bekannt ist, dass parallel zu ihrer Malerei seit Mitte der 1960er Jahre ein konzentriertes zeichnerisches Werk entsteht, mit dem sie das konventionelle Verständnis der Zeichenkunst erweitert. Klassische Aspekte der Zeichnung wie die Linie oder der pastose Farbauftrag, die seit der italienischen Renaissance im Widerspruch zueinander stehen und sich geradezu auszuschließen scheinen, interessieren sie nicht mehr. Ihre Farbstift-Zeichnungen wirken so, als wären sie mit dem Zeichenmittel flächendeckend aufgebaut. Auch die klassische Handschrift der Linie verliert bei ihr an Bedeutung, vielmehr erscheint die Komposition ohne jede zeichnerische Geste aus der Fläche heraus modelliert zu sein. Damit steht der konventionellen Linienkunst ein neues Konzept von Zeichnung gegenüber.

Der konzise über Jahrzehnte kontinuierlich fortgeführte zeichnerische Werkblock, der auf Interieurs und Porträts konzentriert bleibt, gibt einen Eindruck von der Präzision ihres zeichnerischen Denkens. Sind die Zeichnungen anfänglich noch vorbereitende Studien zu den Gemälden, so werden sie im Werklauf mehr und mehr zur autonomen Meisterzeichnung.
Aus heutiger Sicht ist es in der Rückschau beeindruckend zu sehen, wie sich der Ausdruck in den Porträts über die Jahrzehnte hinweg subtil verändert. Feinsinnig erfasst die Zeichnerin Almut Heise in den Gesichtern ihrer Modelle die sich abzeichnenden veränderten Zeitläufe und spiegelt sie in den Porträtzeichnungen, welche entrückt von Zeit und Raum zu sein scheinen. Eben diese genaue Beobachtungsgabe macht die Relevanz ihres zeichnerischen Werkes aus. Heise reiht sich damit in eine lange Tradition der zeichnerischen Introspektion des menschlichen Antlitzes ein und schafft, ohne stilistische Anleihen zu nehmen, eine eigene Sicht auf den Menschen und sein Porträt.

Charakteristisch für ihr unverkennbares Œuvre ist ein leichthändiges Crossover von klassischen Sujets der Kunstgeschichte und Themen der Alltagskultur, die ihre Bildwelten und Porträts durchziehen und damit entgegen ihrer Stille eine gewisse Unruhe ausstrahlen, die den Betrachter umtreibt.

Es ist der Staatlichen Graphischen Sammlung eine Freude, dass die Malerin Almut Heise das Erscheinen ihres zweibändigen Catalogue raisonné mit einer Ausstellung ihrer Zeichnungen in einem klassischen Kupferstichkabinett feiert.

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