Visionen neuer Gemeinschaften
Die Bedrohung unserer Lebensräume prägt unsere heutige Realität. Immer drängender werden darum Forderungen nach grundlegenden Veränderungen. Wie aber lässt sich scheinbar Unabänderliches neu denken? Welche neuen Formen des Zusammenlebens sind überhaupt erstrebenswert? Ausgehend von diesen gegenwärtigen Fragestellungen untersucht die Ausstellung Wir ist Zukunft. Visionen neuer Gemeinschaften historische und aktuelle künstlerische Ideen für alternative Formen des Zusammenlebens. Die Hinwendung zur Natur oder das Vertrauen in technische Innovationen verbindet die unterschiedlichen Positionen. Jedes Kapitel der Schau markiert eine historische Bruchlinie. Mit einer Vielzahl von Medien wie Malerei, Skulptur, Grafik, Video und Performance gipfelt die Präsentation in einer eigens für die Ausstellung geschaffenen tempelartigen Installation des Architekten und Künstlers Yussef Agbo-Ola [Olaniyi Studio].
Wir ist Zukunft beginnt im ausgehenden 19. Jahrhundert, als sich die negativen Folgen der Industrialisierung und Verstädterung bereits deutlich abzeichnen. Gegenbewegungen und Alternativen lassen nicht lange auf sich warten. Das erste Kapitel der Ausstellung skizziert in Gemälden von Karl Wilhelm Diefenbach oder Ludwig von Hofmann die Hoffnung auf ein befreites Leben in Harmonie mit der Natur. Eine neue Spiritualität ist in den Zeichnungen, Malereien und Modellen von Fidus und Elisàr von Kupffer zu finden.
Aus Stahl und Glas entwerfen Bruno Taut und Wenzel Hablik ihre großen Architekturprojekte, deren Formen sich am Kristall orientieren. Als Symbol für das neue Zeitalter fordern sie nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs in Entwürfen kristalliner Architektur ein neues Bauen für eine neue Gesellschaft. Taut findet im Gründer des Museum Folkwang, Karl Ernst Osthaus, einen Unterstützer. Ihre Zusammenarbeit mündet in der Konzeption von Osthaus’ Herzensprojekt, einer Reformschule.
Ein eigenes Kapitel widmet sich dem Werkkomplex New Babylon von Constant. Der niederländische Künstler entwirft von 1956 bis 1974 in zahlreichen Gemälden, Zeichnungen und Modellen eine neue modulare und flexible Lebenswelt. Hier baut sich der spielende Mensch (Homo ludens) seine eigene Umgebung für eine neue Gesellschaft selbst. Weiter erzählt Wir ist Zukunft – mit Superstudios gigantischer Strukturreform des Planeten und Anna Halprins rituellem Planetary Dance – vom Hippie-Modernismus der 1970er und 1980er Jahre. In Entwürfen, Collagen und Filmen werden ihre Visionen eines alternativen Lebens in den Ausstellungsraum gebracht.
Das Kapitel zum Thema Afrofuturismus wird vom Gastkurator:innenteam Studio AGD um den Autor, Kurator, Künstler Anaïs Duplan verantwortet. Studio AGD nähern sich assoziativ dieser kulturellen Strömung, die bereits seit den 1950er Jahren existiert und eine von Rassismen befreite Zukunft zeichnet. In Installationen, Videos, Plastiken und Gemälden zeitgenössischer Künstler:innen zeigen sie Szenarien, die von Freude, Menschlichkeit und Sicherheit geprägt sind und fordern eine aktive und respektvolle Auseinandersetzung.
Das abschließende Kapitel der Ausstellung zeigt zeitgenössische Werke von Eglė Budvytytė, Emma Talbot und Timur Si-Qin. Ihre Arbeiten thematisieren eine neue Verbindung mit der Natur und allen Lebewesen und konfrontieren die historischen Positionen mit Fragen der Gegenwart. Räumlich wie inhaltlich laufen die Fäden der Ausstellung in Oriji: 12 Stone Frog Temple von Yussef Agbo-Ola zusammen, einer Neuproduktion für das Museum Folkwang. Inspiriert von dem vom Aussterben bedrohten Pfeilgiftfrosch schärft der raumgreifende Tempel den Blick selbst für die kleinsten Lebewesen der Ökosysteme, die die Welt in der Balance halten, und lädt zu einer sinnlichen Erfahrung ein. Das Streben nach einer idealen Gemeinschaft, die es (noch) nicht gibt oder die es nicht mehr gibt, ist das verbindende Element und die Antriebsfeder der ausgestellten Werke.