Mit seinen feinfühligen und wie der Zeit entrückten Gemälden gehört der rumänische Künstler Victor Man zu den gefragtesten und gleichzeitig rarsten Malern der Gegenwartskunst. Inmitten der Sammlung Alte Meister präsentiert das Städel Museum eine Ausstellung mit Arbeiten der letzten zehn Jahre, die seinem künstlerischen Schwerpunkt gewidmet ist: Porträts.
Im Städel Museum entsteht ein faszinierender Dialog zwischen Geschichte und Gegenwart. Es sind subtile Einflüsse der Vorrenaissance, verdichtet mit Metaphern, die in seiner melancholischen Bildwelt aufscheinen. In tiefem Dunkelgrün, Blau und Schwarz entfaltet der Künstler ebenso intime wie rätselhafte Bildnisse. Stilistisch schwer einzuordnen und doch unverwechselbar: Mans Gesamtwerk eröffnet zahlreiche kunsthistorische Bezüge und stellt gleichzeitig eine einzigartige Position in der zeitgenössischen Malerei dar.
Der Titel der Ausstellung »Die Linien des Lebens« ist ein Zitat aus Friedrich Hölderlins Gedicht »An Zimmern« (1812) und verweist auf die enge Verbindung Victor Mans zur Lyrik und zu Literatur allgemein. Diese Bezüge finden sich immer wieder in seiner Malerei, wie auch Verbindungen zur eigenen Lebensrealität. So stammen etwa die in den Porträts dargestellten Personen im Hauptteil der Ausstellung aus seinem familiären Umfeld und Freundeskreis. In überwiegend dunkle Szenerien getaucht und mit gedankenversunkenem Blick, sind die Porträtierten in eine existenzielle Schwere gehüllt. Die Gemälde zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz und erzählen von der poetischen wie auch tragischen Ambivalenz des Lebens.
Im zweiten Teil der Ausstellung wird die Gattung Porträt mit der Werkserie »The Chandler« (seit 2013) fortgesetzt und zugleich aufgebrochen, womit die Möglichkeit einer neuen Lesart entsteht. Victor Man präsentiert in verschiedenen Gemälden das gleiche Motiv in stets leicht abgewandelter Form – eine sitzende Figur mit einem Kopf auf dem Schoß – und lädt dazu ein, die eigene Wahrnehmung zu erkunden. Das Städel Museum vereint in der Ausstellung vollständig die bisher entstandenen Arbeiten dieser Serie, die selten in ihrer Gesamtheit zu sehen ist – darunter auch das jüngste Werk, welches zuvor noch nie gezeigt wurde.
Kuratorin
Svenja Grosser (stellv. Leiterin Sammlung Gegenwartskunst, Städel Museum)
Projektleiterin
Maja Lisewski (wissenschaftliche Volontärin, Sammlung Gegenwartskunst, Städel Museum)
In dieser kleinen Retrospektive sind es die persönlichen Lebenslinien Mans, die sich mit denen der Kunstgeschichte überkreuzen.
Ursula Scheer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.2023