Henri Cartier-Bresson zählt zu den berühmtesten Fotograf:innen des 20. Jahrhunderts. Als Fotojournalist, Kunstfotograf und Porträtist schuf er zeitlose Kompositionen und prägte damit den Stil nachfolgender Generationen von Fotograf:innen. Mit seinem Gespür für den »entscheidenden Augenblick« erfasste er spontane Begegnungen und Situationen. Seine Arbeiten, heute Ikonen, machten ihn zu einem wichtigen Vertreter der Street Photography.
Das Bucerius Kunst Forum widmet dem Mitbegründer der legendären Fotoagentur Magnum die erste große Retrospektive in Deutschland seit 20 Jahren. Neben den frühen, surrealistisch geprägten Aufnahmen und Filmarbeiten sowie den politischen Fotoreportagen werden auch Cartier-Bressons Porträts bekannter Künstler:innen und Schriftsteller:innen gezeigt, ebenso wie seine späteren Fotografien, in denen der Fokus auf dem menschlichen Alltagsverhalten liegt.
Die Ausstellung beleuchtet anhand von 240 Originalabzügen sowie zahlreichen Veröffentlichungen in Illustrierten und Büchern das Lebenswerk des Fotografen von den 1930er- bis in die 1970er-Jahre.
Das Frühwerk Henri Cartier-Bressons ist vom Surrealismus und vom Neuen Sehen der 1920er-Jahre inspiriert. Die Verwandlung des Alltags in ein rätselhaftes Bild und die Wahrnehmung von surrealen Begegnungen bestimmten diese Phase, die von André Breton, Eugène Atget, Giorgio De Chirico und René Magritte beeinflusst war. Bereits in den 1930er-Jahren wandte sich Cartier-Bresson der Fotoreportage zu. 1908 geboren und 2004, im Alter von fast 96 Jahren gestorben, erlebte Cartier-Bresson als Zeitzeuge fast das gesamte 20. Jahrhundert und wurde zu dessen fotografischen Chronisten. Als Augenzeuge dokumentierte er zahlreiche historische und politische Großereignisse. Im Auftrag französischer Illustrierte fotografierte er während des Spanischen Bürgerkriegs und auch die britischen Krönungsfeierlichkeiten von George VI hielt er mit Witz und ohne die Wiedergabe der Mitglieder der Königsfamilie fotografisch fest.
Soziale und gesellschaftliche Themen wurden ein zentrales Anliegen für Cartier-Bresson, der zu Beginn offen mit der politischen Linken sympathisierte. So galt sein fotografisches Interesse insbesondere sozial ausgegrenzten Menschen. Nach der Kriegsgefangenschaft in Deutschland, der er 1943 bei einem dritten Fluchtversuch entkam, fotografierte und filmte er in Dessau nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Rückführung von »Displaced People« in ihre Heimat. Diese bewegenden Bilder repräsentieren den Auftakt zu einer beeindruckenden Laufbahn als Fotoreporter für die auflagenstärksten Illustrierten in den USA und Europa.
1947 begründete er mit Robert Capa und anderen Fotografen die Bildagentur Magnum, die seine Fotografien weltweit vertreiben wird. Cartier-Bressons Fotoreportagen dokumentieren herausragende Momente der Zeitgeschichte wie die Beisetzung Mahatma Gandhis (1948) oder den Untergang der Herrschaft des Kuomintang-Regimes in China (1949). Als erster europäischer Fotograf machte er 1954 nach dem Tode Stalins Aufnahmen in der Sowjetunion. In der Ära des Kalten Krieges wurde er zum gefragten Zeitzeugen im geteilten Berlin (1962) oder auf Kuba unter Fidel Castro (1963).
Cartier-Bresson pflegte jahrelange Freundschaften in die Kunst- und Kulturwelt, die ihn und sein künstlerisches Schaffen nachhaltig inspirierten. Seine intimen Porträts von Künstler:innen, Schriftsteller:innen und Fotograf:innnen wie Coco Chanel, Simone de Beauvoir und Henri Matisse bilden einen wichtigen Teil seines Œuvres und werden in der Ausstellung gezeigt.
Seine Street Photography zeigt das zwischenmenschliche Verhalten im Alltag, bei der Arbeit und in der Freizeit. Die Werke verdeutlichen das stilprägende Element in Cartier-Bressons Fotografien: das Beobachten und gleichzeitige Analysieren von menschlichem Handeln in spontanen Augenblicken. Cartier-Bresson setzte sich mithilfe seiner Kamera bewusst Begegnungen aus, hielt dabei menschliches Verhalten fest und machte dieses in flüchtigen Szenen sichtbar.