Fü­sun Onur, 1938 in Is­tan­bul ge­boren und dort lebend, ist eine der be­deu­tend­sten Kün­st­lerin­nen der Türkei. Zwar ist ihr beein­druck­en­des und viel­seitiges Werk durch regelmäßige Beteili­gun­gen an Grup­pe­nausstel­lun­gen einem in­ter­na­tio­nalen Pub­likum kont­inuier­lich zugänglich gewe­sen, hat aber bis­lang keine aus­reichende Würdi­gung er­fahren. Vor et­wa zehn Jahren richtete ihr Arter, das Mu­se­um für zeit­genös­sische Kunst in Is­tan­bul, er­st­ma­lig eine Über­blick­sausstel­lung aus. Mit der großen Ret­ro­spek­tive möchte das Mu­se­um Lud­wig ihr Werk nun einem größeren Pub­likum zugänglich machen.

Das Mu­se­um Lud­wig hat in den ver­gan­ge­nen Jahren be­deu­ten­den Kün­stler:in­nen, deren Werke bis dahin nur am Rande wahrgenom­men wor­den waren, große Über­blick­sausstel­lun­gen gewid­met. Zu ih­nen ge­hören u. a. Joan Mitchell (2015), Nil Yal­ter (2019) und Isa­mu Noguchi (2022). Mit Fü­sun Onur soll ein weit­eres Œu­vre ins Zen­trum gestellt wer­den, dessen Be­deu­tung in sein­er Tiefe noch nicht er­fasst ist.

Aufgewach­sen in Is­tan­bul studierte Onur dort an der Staatlichen Kun­s­takademie von 1956 bis 1960 Bild­hauerei in­mit­ten der Um­bruch­szeit der türkischen Kun­st­geschichte in den 1950er und 1960er Jahren. Mit dem Rück­gang staatlich­er Aufträge für repräsen­ta­tive Kunst sch­wand auch die Ein­fluss­nahme des Staates. Kün­stler:in­nen be­gan­nen, sich ein ei­genes Um­feld zu schaf­fen, in dem sie mit neuen For­men ex­per­i­men­tierten. Nach ihrem Ab­sch­luss an der Akademie führte sie ein Ful­bright-Stipendi­um zunächst an die Amer­i­can Uni­ver­si­ty, Wash­ing­ton D.C., USA, wo sie Philo­so­phie studierte, und dann an das Mary­land In­sti­tute Col­lege of Arts, wo sie ihr Studi­um der Kunst fort­set­zte. Schon während ihres Studi­ums fühlte Onur sich er­mutigt, eine ei­gene kün­st­lerische Po­si­tion zu en­twick­eln, und sie ver­fol­gt die­sen An­spruch bis heute. Bere­its ihr Früh­w­erk, das sich kein­er der Kun­st­be­we­gun­gen jen­er Zeit zuord­nen lässt, ver­mit­telt ihre kün­st­lerische Sou­veränität. Sie schuf Skulp­turen in ein­er ab­s­trak­ten, kon­struk­tiv­en und min­i­mal­is­tischen For­men­sprache, ge­paart mit Witz. 

Ein wied­erkehren­des El­e­ment in Onurs Ar­beit­en ist ihre Ver­bun­den­heit mit Is­tan­bul sowie das Haus ihr­er Fam­i­lie in Kuz­gun­cuk, das sie bis vor Kurzem zusam­men mit ihr­er 2022 ver­s­tor­be­nen Sch­west­er İl­han Onur be­woh­nte. Es ist ge­füllt mit Mo­biliar und Erin­nerungsstück­en, die in die An­fänge des 20. Jahrhun­derts zurück­ge­hen. Di­rekt am Bos­porus gele­gen di­ent es Onur als Aus­gangspunkt für neue Ar­beit­en. So ver­lei­ht sie der Er­fahrung, am Wass­er zu leben, in ihren Werken im­mer wied­er neue äs­thetische For­men.

Die Kün­st­lerin nutzt Ein­la­dun­gen zu Ausstel­lun­gen dazu, die jew­eilige Si­t­u­a­tion vor Ort zum Aus­gangspunkt ihr­er Beiträge zu machen. Auf diese Weise ent­ste­hen Werke, mit de­nen sie auf ge­sellschafts- und kul­tur­poli­tische En­twick­lun­gen reagiert. Auf den Malerei-Hype in den 1980er Jahren ant­wortet sie mit Bildern, die in den Raum hinein er­weit­ert sind. Ihre In­s­tal­la­tio­nen, die größ­ten­teils im Zuge von Ein­la­dun­gen ins eu­ropäische Aus­land ent­ste­hen, spiegeln in den 1990er und 2000er Jahren kri­tisch die west­lichen Er­war­tun­gen. Ihre Werke fordern die Be­such­er:in­nen auf, ihren ei­ge­nen Imag­i­na­tio­nen Raum zu geben. Dies gilt insbe­son­dere für solche synäs­thetischen In­s­tal­la­tio­nen, in de­nen Onur mit aufgerei­ht­en All­t­ags­ge­gen­stän­den Musik in den Raum überträgt. Ihr Bei­trag Once Up­on a Time 2022 im Türkischen Pav­il­lon auf der Bien­nale von Venedig brachte sie wied­er ver­stärkt in die öf­fentliche Wahrneh­mung. Die groß­for­matige In­s­tal­la­tion beste­ht aus mi­nia­turhaften, aus Draht handge­fertigten Fig­uren, die in eine Fan­tasiewelt ein­la­den.

Die Ausstel­lung im Mu­se­um Lud­wig um­fasst 94 zum Teil raum­fül­lende In­s­tal­la­tio­nen aus den let­zten sechzig Jahren. Zusät­zlich wird Onur für ihre Ret­ro­spek­tive eine neue große Rau­min­s­tal­la­tion schaf­fen.

Ku­ra­tor:in­nen: Bar­bara En­gel­bach (Ku­ra­torin, Mu­se­um Lud­wig) & Emre Baykal (Che­fku­ra­tor, Arter)

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