Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf setzt seine Reihe mit zeitgenössischen Künstlervideos fort und zeigt im Saal Friedrichs III. einen faszinierenden Film des dänischen Künstlers Henrik Lund Jørgensen. Im Mittelpunkt stehen Seesturm und Schiffbruch. Motive, die schon seit der Antike als Sujet der bildenden Kunst nachweisbar sind.

Das unstete Meer taugt als Sphäre der Unberechenbarkeit, Gesetzlosigkeit und Orientierungslosigkeit zum Gegenbild des festen Landes. Tatsächlich ist es in der Geschichte der Seefahrt häufig der Fall gewesen, dass man vom Ufer aus Strandungen und Schiffbrüche beobachten konnte, ohne selber eingreifen zu können oder zu wollen. Dass die Küstenbewohner verschiedentlich selbst aktiv durch das Versetzen von Leuchtfeuern dazu beitrugen, dass Schiffe auf Grund liefen, vor den Küsten zerschellten und ausgeplündert wurden, gehört zu den moralischen Schattengeschichten der Seefahrt.

Das dramatische Motiv des Schiffbruchs mit Zuschauer:innen steht für eine Blickweise auf das Meer, in der die Vorstellung vom Leben als einer Seefahrt zum Ausdruck kommt. Diese Vorstellung umspannt Ausfahrt und Heimkehr, Hafen und Passage, Sturm und Windstille, Seenot und Untergang, rettendes Eingreifen und bloßes Zuschauen. Das Meer erscheint dabei als Theaterbühne, auf der erschütternde Dramen aufgeführt werden – aber auch der Traum von einem anderen Ufer.

Der dänische Maler Michael Ancher (1849–1927) gilt als herausragender Vertreter des heroischen maritimen Rettungsmotivs in der Malerei des späten 19. Jahrhunderts. Ancher gehörte zu den wesentlichen Protagonisten der Skagener Künstlerkolonie. Um 1880 gelang ihm der künstlerische Durchbruch mit realistischen, im Stil der Bildreportage gehaltenen Darstellungen des gefährlichen Alltags der Fischer von Skagen, die in der rauen See zwischen Skagerrak und Kattegat häufig Rettungsaktionen von Schiffsbrüchigen durchführten. Für Anchers Heldenepos über das harte Leben der Skagener Fischer und ihren selbstlosen Einsatz für die Rettung von Menschen in Seenot ist kennzeichnend, dass das eigentliche dramatische Geschehen sich häufig außerhalb des Bildes ereignet. Immer wieder begegnet dem Betrachter das Motiv der schauenden Figur, die über das Meer blickt.

Im März 2008 reiste der junge dänische Künstler Henrik Lund Jørgensen (geb. 1975) nach Hanstholm, einem an der jütländischen Westküste gelegenen Ort. Er hatte sich schon früher für diese Küstenlandschaft mit ihren Bunkern und den Spuren von Krieg und Flucht interessiert. Es wurde ihm bewusst, dass die Küste für Fischer und Flüchtlinge einen gleichermaßen schicksalhaften Ort darstellt. Fischer riskieren Leib und Leben für ihren Fang, während Kriege, Hunger und Perspektivlosigkeit Tausende von Menschen dazu bringen, über die Meere zu fliehen. Lund Jørgensen beschloss, die Westküste als Bühne zu nutzen und die ortspezifische Kunst-, Fischerei- und Kriegsgeschichte mit seinen eigenen Erfahrungen zu verknüpfen.

In dem Video Friends He Lost at Sea (2009) arbeitet Lund Jørgensen mit den Motiven und Kompositionen von zwei der bekanntesten Werke von Michael Ancher: Vil han klare pynten? [Wird er es um die Landspitze schaffen?] (1879) und Mandskabet reddet [Die Mannschaft gerettet] (1894). Wie bei einem Tableau vivant werden die beiden Gemälde nachgestellt, allerdings treten anstelle der Fischer nunmehr Flüchtlinge aus anderen Ländern auf. Indem der Künstler die heldenhaften Skagener Fischer von »boat people« spielen lässt und damit Anchers Bilder in den Horizont der Gegenwart holt, werden Fragen nach Flucht und Rettung, Emigration und gesellschaftlicher Verantwortung neu aufgeworfen. Lund Jørgensens Videoinstallation steht ebenso wie Anchers heroischer Realismus auf der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion. Für Flüchtlinge bleibt das rettende Ufer ambivalent, denn es kann sowohl den Eingang in ein gelobtes Land als auch die Schwelle zu einem Niemandsland bedeuten.

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