Die Ausstellung Ho Tzu Nyen: Time & the Tiger ist die erste Überblicksausstellung, die dem Künstler Ho Tzu Nyen (*1976) und seiner vielseitigen künstlerischen Praxis gewidmet ist. Ho gilt als einer der innovativsten Künstler, die in den letzten zwanzig Jahren international hervorgetreten sind. Er schafft komplexe und fesselnde Videoinstallationen, die sich mit der in der Kultur Südostasiens verwurzelten Wirklichkeit, Geschichte und Fiktion auseinandersetzen.
Als bildender Künstler, Schriftsteller, Theater- und Filmemacher hat Ho Tzu Nyen mit seinen Arbeiten die konventionellen Hierarchien in unserem Verständnis der Vergangenheit immer wieder in Frage gestellt. Seine immersiven Multimedia-Installationen stützen sich auf historische Ereignisse, Dokumentarfilme, Kunstgeschichte, Musikvideos und mythische Erzählungen und untersuchen so die Konstruktion von Geschichte, die Erzählung von Mythen, das Verstreichen der Zeit und die Vielfalt von Identitäten.

Time & the Tiger zeichnet die Entwicklung von Ho’s Werk anhand des Tigers und anderer sich wandelnder Figuren nach, die das Versprechen des Werdens und von Metamorphosen sowie Zeit als verkörperte und heterogene Erfahrung vermitteln. Ho arbeitet mit einer Vielzahl von Medien, um kritisch zu untersuchen, wie Geschichte, sei sie nun staatlich, kulturell oder persönlich, kontinuierlich imaginiert, verhandelt und aufgeführt wird. Ho kommentiert den kulturübergreifenden Charakter Südostasiens und greift dabei auf eine breite Palette von Themen zurück, von vorkolonialen und kolonialen Mythen über europäische Renaissance-Gemälde, modernistische Erzählungen und Geopolitik bis hin zu filmischen Darstellungen einer hybridisierten und instabilen Gegenwart.

Vor mehr als einem Jahrzehnt initiierte Ho das Projekt The Critical Dictionary of Southeast Asia mit der Frage: »Was macht die Einheit Südostasiens aus, einer Region, die nie durch Sprache, Religion oder politische Strukturen geeint war?« Während diese Frage durch Ho’s Ausbildung auf dem Gebiet der Südostasienwissenschaften entstand, verlagert er sie in den Bereich der Ästhetik und macht die Region seitdem zu einer generativen Matrix für viele Projekte, darunter die Videoinstallationen The Name; The Nameless (beide 2015); CDOSEA; One or Several Tigers (beide 2017); Hotel Aporia (2019) und zwei neue Arbeiten T for Time und T for Time: Timepieces (2023–fortlaufend), die vom Singapore Art Museum und dem Art Sonje Center Seoul in Zusammenarbeit mit dem M+ Hongkong und dem Museum of Contemporary Art Tokyo und der Sharjah Art Foundation in Auftrag gegeben wurden.

One or Several Tigers verbindet die Techniken des Schattenspiels mit denen der digitalen Animation und stützt sich auf mehr als ein Jahrzehnt historischer Forschung. Im Mittelpunkt steht die Lithografie Interrupted Road Surveying in Singapore (um 1865–85) des deutschen Illustrators Heinrich Leutemann. Der Druck zeigt den Iren George Drumgoole Coleman, dem die Planung und der Bau des heutigen Singapur zugeschrieben wird, wie er bei Vermessungsarbeiten im Dschungel mit einer Gruppe von Gefangenen auf einen Tiger trifft. In Hos fantasievoller Neuinszenierung steht der Tiger für das koloniale Imaginäre, in dem die Arbeiter den Dschungel roden, um Platz zu schaffen für das, was heute ein Zentrum des globalen Kapitalismus und, wie der Künstler sagt, ein sogenannter »asiatischer Tigerstaat« ist.

Mit Hotel Aporia erkundet Ho die Geschichte Japans und seiner Veränderungen im Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts: Es zeigt eine Reihe historischer Persönlichkeiten aus Japans Zwischenkriegszeit, darunter Kamikaze-Piloten des Zweiten Weltkriegs, Philosophen der Kyoto-Schule, den Filmemacher Yasujirō Ozu, den Mangaka und Zeichentrickregisseur Ryuichi Yokoyama, die alle in der berauschenden Mischung aus Japans militantem Nationalismus, Antimodernismus und kultureller Propaganda gefangen waren. Die Widersprüche zwischen den Überzeugungen und Handlungen der Figuren kommen so deutlich zum Vorschein, dass es unmöglich ist, sich auf das »Japan« zu einigen, auf das sich einige beziehen und das sie idealisieren.

Die Publikation enthält eine Auswahl von Hos Texten zu einigen Begriffen, die aus dem Critical Dictionary of Southeast Asia hervorgegangen sind: »G für Gene Z. Hanrahan«, »H für Hydrographie«, »L für Lai Teck«, der von 1939 bis 1947 als Dreifachagent und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Malawis tätig war und die Hauptfigur der Videoinstallationen Nameless und the Name ist. Diese Texte werden aufzeigen, wie sich die Konturen, Töne und Texturen seiner Forschungen über Südostasien im Laufe der Zeit verändert und weiterentwickelt haben. Begleitet werden sie von Texten von Kuratorinnen und künstlerischen Kolleginnen, die Hos Praxis an unterschiedlichen Punkten begegnet sind, von den Dekolonisierungspotenzialen des Algorithmus bis hin zum Wert von Wiederholungen: Hiroki Azuma, Kathleen Ditzig, May Adadol Ingawanij, Jang Un Kim & Je Yun Moon, Shabbir Hussain Mustafa, Lee Weng Choy, Yoko Nose, Kenneth Tay und Selene Yap.

Ho Tzu Nyen (*1976, in Singapur) lebt und arbeitet in Singapur. Er machte einen B.A. in Creative Arts am Victorian College of the Arts, University of Melbourne (2001), und einen M.A. in Southeast Asian Studies an der National University of Singapore (2007). Ho stellte im Singapur-Pavillon der Biennale von Venedig (2011) aus, hatte internationale Einzelausstellungen und war Teil der Gwangju Biennale (2021) und der 14. Sharjah Biennale (2019). Seine Filme wurden auf verschiedenen Festivals gezeigt. Er ist Ko-Kurator der 2019 Asian Art Biennale in Taiwan.
Die Ausstellung wird mit dem Singapore Art Museum (SAM) organisiert und in Zusammenarbeit mit dem Art Sonje Centre Seoul, dem Hessel Museum of Art-Bard College New York und dem MUDAM Luxemburg produziert.

Kuratorin: Dr. Corinne Diserens
Assistenzkuratorin: Leonie Marie Ahrens

Teile diese Veranstaltung
Details der Veranstaltung
Kommentar schreiben

Details der Veranstaltung