Katrin Mayer (*1974) zeigt ihr aktuelles Kunst- und Forschungsprojekt c0da, das die weibliche Geschichte der Computerprogrammierung und des Schreibens thematisiert und vielschichtig in eine Beziehung zur Technologie- und Fächerstadt Karlsruhe setzt. Mayer entwirft in ihrer ortsspezifischen Praxis feministische Korrektive bestehender Geschichtsschreibungen. So war die Technik der Programmierung gerade in ihren Anfängen eine weibliche Tätigkeit, die Namen und Errungenschaften der Frauen tauchen jedoch kaum auf.

c0da verwebt Erzählungen über so wegweisende Programmiererinnen wie Ada Lovelace, Grace Hopper, Jake Feinler oder Betty Snyder Holberton von den ENIAC 6 mit einer Herstory des Schreibens. Beginnend mit der l’écriture féminine und der Figur des zerologischen Subjekts (Julia Kristeva, Eva Meyer) bringt c0da die Schreibkonzepte in ein Spannungsverhältnis zu Künstlicher Intelligenz und neuen Schreibprogrammen wie Chat GPT.  

Katrin Mayer hat Künstler:innen, Theoretiker:innen, Kurator:innen und Autor:innen aus ihrem interdisziplinären Netzwerk eingeladen, diese Recherchen kollaborativ zu reflektieren und verschiedene Beiträge auf www.c0da.org zu veröffentlichen – einer fortlaufenden Plattform, die sie zusammen mit der Programmiererin und Grafikdesignerin Anna Cairns entwickelte.

Im Badischen Kunstverein wird c0da erstmals in einen Ausstellungsraum übersetzt und um eine weitere Erzählung ergänzt: Mayer entwirft eine spekulative Re-Lektüre der Schöpfungsgeschichte der Fächerstadt Karlsruhe, der zufolge der Markgraf Karl Wilhelm von einem Fächer träumte und seine Schloss- und Stadtanlage an diesem Motiv orientierte. Mayer nimmt den Fächer (Englisch: fan) beim Wort – fanny ist im britischen Englisch ein Slangausdruck für Vulva. Zudem war der Fächer im 18. und 19. Jahrhundert ein telegrafisches Tool, das zur Grundausstattung des weiblich codierten Körpers gehörte und in Literatur und Kunst als ein Instrument emanzipativ-subversiver Kommunikation inszeniert wurde.

Um die Materialanordnungen aus Mayers aktueller, ortspezifischer Recherche und die seit 2001 entstandenen c0da-Beiträge in den Räumen des Kunstvereins narrativ und formal miteinander in Zusammenhang zu setzen, entwirft die Künstlerin spezifische Wand-Strukturen, die über ihre Zeigefunktion hinaus selbst zum Ausdruck eines durch sie verhandelten Wissens werden: Das Display assoziiert Code-Linien und verweist zudem auf das in der Renaissance entstandene Konzept, die Tätigkeit des Rechnens (lat. computare) auf einen eigenen Raum, das so genannte Kontor (frz. comptoir), zu konzentrieren. Hier beginnt die Geschichte des Büros, dessen Wandel Mayer bis in die Gegenwart reflektiert: Um 1860 treten mit der Schreibmaschine zunehmend Frauen in die Arbeitswelt ein und wurden als white collar girls marginalisiert. Heute ist das herkömmliche Büro vielfach obsolet und die Künstlerin bemerkte, dass in den zahlreichen Auflösungen immobiler Arbeitsorte oftmals Ausstattungsklassiker wie die so genannten Freiformschreibtische aussortiert werden. Diese Tische – in deren Form und Bauweise die arbeitenden Körper regelrecht eingeschrieben sind – werden in die Ausstellung integriert und manifestieren eine weitere Stufe des von Friedrich Kittler bereits in den 1990er Jahren imaginierten Endes der Schreibtischära.

#c0da comptoir #fanny carolsruh zieht gebaute und gedankliche Linien zwischen weiblichen Technologiegeschichten und der eher männlich geprägten, technokratischen Fächerstadt Karlsruhe. Als weitere, kontextualisierende Ebene installiert Mayer einzelne, bereits bestehende Arbeiten im Status analoger, archivarischer Avatare.

c0da-Beitragende: Anna Cairns, Ann-Kathrin Eickhoff, Sophia Eisenhut, Jackie Grassmann & Sarah Lehnerer, Hanne Loreck, Jasmina Metwaly, Karolin Meunier, Eva Meyer, Luzie Meyer, Orphan Drift & Ido Radon, Sadie Plant, Romy Rüegger, Bea Schlingelhoff, Eske Schlüters, Andrea Scrima, Jana Seehusen, Stanton Taylor, Rebekka Willkens.

Die Ausstellung wird von einem Veranstaltungsprogramm und einer Publikation begleitet.

Kuratiert von Anja Casser

Eröffnung: Donnerstag, 20. Juni 2024, 19 Uhr

Katrin Mayer (*1974, Oberstdorf) lebt in Berlin und Düsseldorf.
Ihre installativen Arbeiten fügen Korrektive in bestehende Geschichtsschreibungen und die Selbstbetrachtung des jeweiligen Ortes ein.
Ausstellungen, u.A.: Kunsthalle Bielefeld (2023/2014), Kunsthalle Osnabrück (2021), Kunstsammlung NRW Düsseldorf (2020), Leipziger Kunstverein (2020), Lenbachhaus München (2020), Warschau Biennale (2019), Badischer Kunstverein Karlsruhe (2018/2009), Kunstverein Hamburg (2017), Kunsthalle Lingen (2016), European Kunsthalle @ chambre d‘amis Wien (2015), Ludlow38 MINI/Goethe-Institut New York (2014), Museum Abteiberg Mönchengladbach (2013).

Gefördert von der Baden-Württemberg Stiftung, der Kunststiftung NRW und der Rudolf Augstein Stiftung
c0da Recherche und Webseite wurden finanziert und begleitet vom Berliner Programm Künstlerische Forschung

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Details der Veranstaltung
  • Beginn
    21.06.2024 11:00
  • Ende
    01.09.2024 17:00
  • Status
    abgelaufen
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