Mandelförmige, blicklose Augen haben Modiglianis Stil unverkennbar gemacht. Mit ihrer stoischen Noblesse sind seine Portraits und Akte Ikonen der Moderne. Wie Frida Kahlo und Pablo Picasso provoziert Modigliani Abwehr und Bewunderung. Sein früher Tod förderte die Legendenbildung. Nur wenige seiner Werke befinden sich in deutschen Sammlungen, Modigliani. Moderne Blicke ist die erste Ausstellung in Deutschland seit fünfzehn Jahren. Sie revidiert das Image von Modigliani, indem sie ihn als Künstler zeigt, der seinen Blick auf die emanzipierte Frau richtet.

»Die bislang letzte Modigliani-Retrospektive in Deutschland fand 2009 in der Bundeskunsthalle in Bonn statt. Ausstellungen, ob in Madrid, London, Helsinki oder New York nahmen Modiglianis Pariser Umfeld in den Blick und Modiglianis Freundschaften zu Schriftstellern und Sammlern. Doch noch fehlt eine Ausstellung, die im Zusammenhang der internationalen Moderne danach fragt, worin die spezifische Provokation von Modiglianis Werken lag. Unsere Ausstellung erweitert den Kontext von Modiglianis Kunst erstmals über dessen Pariser Umfeld hinaus und weist Bezüge zu Paula Modersohn-Becker, Egon Schiele, Gustav Klimt, Wilhelm Lehmbruck und Ernst Ludwig Kirchner auf.«

Ortrud Westheider, Museum Barberini, und Christiane Lange, Staatsgalerie Stuttgart

Lange Zeit wurde die Entwicklung der modernen Kunst als ein Weg zur Abstraktion beschrieben. Die Vielzahl der Künstlergruppen, ihre Manifeste, aber auch die Ausstellungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeugen dagegen von einer gleichrangigen Wahrnehmung verschiedener Positionen durch die Zeitgenossen. In ganz Europa gab es Künstlerinnen und Künstler, die parallel zur Neuerung durch den Kubismus und den Expressionismus an der Figuration weiterarbeiteten. Ihre intensive Beschäftigung mit Portrait und Akt provozierte genauso wie die Auflösung der Form.

Erst die Traumata des Ersten Weltkriegs brachten in der europäischen Malerei der 1920er Jahre einen Kult der Kühle hervor. Den später Neue Sachlichkeit genannten Zeitgeist prägten auch Schriftstellerinnen, Modeschöpferinnen und Malerinnen. Mit Kurzhaarfrisur und maskuliner Kleidung waren einige von ihnen modisch ihrer Zeit voraus und lebten die Emanzipation. Die als modern bürgerlich assoziierten Frauen dieser Zeit waren Modigliani bereits im Kreis der Pariser Avantgarde begegnet. Als Kind gefördert von Mutter und Tante, die Sprachen unterrichteten und literarisch beschlagen waren, suchte Modigliani vor und nach dem Ersten Weltkrieg die Nähe intellektueller und musisch gebildeter Frauen, die im Pariser Künstlerleben neue Spielräume ausloteten. Reflexionen dieser Beziehungen übertrug Modigliani auf seine Bilder und portraitierte beide Geschlechter der Pariser Avantgarde als kosmopolitische Künstlerfreunde über Grenzen hinweg. Die stoische Noblesse seiner Portraits nahmen die Neue Sachlichkeit bereits vorweg. Modigliani stellte das neue Menschenbild ohne expressive Tendenzen dar, portraitierte die emanzipierte Frau ohne die kalte Distanz der Neuen Sachlichkeit oder den sezierenden Blick auf die Gesellschaft der Nachkriegszeit. Selbst die Hinweise auf den sozialen Hintergrund der Dargestellten reduzierte Modigliani auf ein Minimum. Seine Frauen- und Aktbildnisse zeigten die selbstbewusste Selbstverständlichkeit einer femme moderne.

Die Ausstellung Modigliani. Moderne Blicke versammelt 56 Portraits und Akte Modiglianis im Dialog mit 33 Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen von Künstlerinnen und Künstlern wie Gustav Klimt, Jeanne Mammen, Pablo Picasso, Natalja Gontscharowa, Egon Schiele und Paula Modersohn-Becker. Die internationalen Leihgaben stammen unter anderem aus der Albertina, Wien, dem Centre Pompidou, Paris, dem Musée de l’Orangerie, Paris, der Nahmad Collection, der Phillips Collection, Washington, D.C., der Pinacoteca Agnelli, Turin, der Tate, London, dem Courtauld Institute of Art, London, und dem Metropolitan Museum of Art, New York.

Eine Ausstellung des Museums Barberini, Potsdam, und der Staatsgalerie Stuttgart, unter der Schirmherrschaft der Botschaft der Italienischen Republik in Deutschland. Die Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart lief vom 24. November 2023 bis zum 1. April 2024.

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