»Ich kann ein Bild malen: das Reh. […] Ich kann aber auch ein Bild malen wollen: ›das Reh fühlt‹.«
Franz Marc (1911/1912)
Franz Marc ist heute vor allem für seine Pferdedarstellungen bekannt, doch das Reh ist ein ebenso häufiges Motiv in seinem Werk. Marc, der selbst zwei zahme Rehe als Haustiere hielt, hat dieses Motiv im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung immer wieder aufgegriffen. Er nutzte die bedeutungsträchtigen Assoziationen zum Wesen des Rehs, das immer schon als sanftes und friedliches Wesen galt und für das Scheue und die Verletzlichkeit der Natur steht. Indem Marc die Tiere aus den traditionellen allegorischen oder narrativen Kontexten löste und sie in ihrer autonomen Existenz in den Mittelpunkt seiner Kompositionen stellte, ermöglichte er eine neue Art der Betrachtung, welche die Tiere als eigenständige, empfindungsfähige Wesen anerkennt und würdigt.
Marcs Werke reflektieren den tiefgreifenden Wandel im Verhältnis von Tieren und Menschen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der durch Verstädterung, Industrialisierung und Globalisierung geprägt war und bei vielen Menschen ein Gefühl der Entfremdung hervorrief. Themen wie Tierethik und Tierschutz rückten in dieser Zeit verstärkt ins Blickfeld. Erkenntnisse über Artensterben, den Verlust von Lebensräumen, die Grausamkeit von Tierversuchen sowie artgerechte Tierhaltung, -schlachtung und -konsum erhielten vermehrt Aufmerksamkeit. Auch die Rechte von Tieren als eigenständige, fühlende und handelnde Wesen wurden zunehmend diskutiert.
Diese Debatten sind auch heute, mehr als hundert Jahre nach dem Tod Franz Marcs, aktuell und bieten Anlass, sein Werk unter diesen Aspekten neu zu betrachten. In der Ausstellung richten wir dabei den Blick nicht nur auf Franz Marc, sondern auch auf die Werke von Zeitgenossinnen wie der Berliner Bildhauerin Renée Sintenis sowie die Arbeiten von Künstlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Joseph Beuys und Sigmar Polke.