Das Zürcherische Schwamendingen ist eine Art Ur-Vorort der Schweiz und mit dem genferischen Meyrin oder dem bernerischen Bümpliz-Bethlehem vergleichbar. Schwamendingen liegt in Zürich Nord und ist Kreis 12 (K12); es wird von der Autobahn A1 zweigeteilt (mit täglich 120 000 Fahrzeugen) und liegt in der Südanflugschneise des nahe gelegenen Flughafens Kloten. Der Stadtteil gilt (oder galt) als Agglo-Ghetto und gleichzeitig als biedere Gartenstadt und wird von über 32 000 Menschen aus verschiedensten Ländern bewohnt. Man sagt, dass in solchen Vororten das Urschweizerische (Geranien auf dem Balkon) auf das Ausländische trifft (Kochen mit Gewürzen). Wie dem auch sei, Schwamendingen ist ebenso sehr Wirklichkeit wie Klischee: Der Ort ist Legende und die Menschen dort sind stolz auf ihr Schwamendingen.
Nicht zufällig ging in den 1980er Jahren die Erforschung des (neuen) Schweizer Alltags von Schwamendingen aus und fand in der dort gegründeten Zeitschrift ›Der Alltag. Sensationsblatt des Gewöhnlichen‹ vielschichtigen Niederschlag. Die Schwamendinger Chilbi ist schweizweit bekannt, ebenso der Rapper Bligg, die Fernsehmoderatorin und Schauspielerin Viola Tami oder der Nationalfussballspieler Ricardo Rodríguez, die alle von dort stammen. Dass Schwamendingen jetzt im Zentrum von Zürich in der Kunsthalle Zürich zu Gast ist, kann als Triumph verstanden werden, als Revanche des Randbezirks oder als normaler Gang der Geschichte.
Zu verdanken haben wir dies der Künstlerin Ruth Erdt, die seit fast 20 Jahren Schwamendingen fotografisch begleitet. Seit 2006 hat sie über 60 000 Bilder geschossen, daraus ist eine Langzeitstudie entstanden, die exemplarisch den Veränderungen eines solchen Ortes nachgeht. Es ist eine Recherche mit den Mitteln der Kunst – und es ist eine Würdigung der Menschen dort. Neben Schüler:innen, Arbeiter:innen und Bewohner:innen von Schwamendingen, neben tiefgreifenden baulichen Eingriffen, belebtem Schwamendingerplatz, Volksfesten, Gärten und dem immerwährenden Alltag zeigt Ruth Erdts K12 – Schwamendingen auch den jüngsten Umbau: die viel diskutierte, 450 Millionen teure und lang ersehnte Einhausung der Autobahn A1. Im März 2019 begonnen, wird sie in diesem Jahr fertiggestellt und Schwamendingen ein weiteres Mal stark verändern.
Erdts Ausstellung ist nicht zuletzt auch eine Reflektion über das Medium Fotografie in 5 000 Bildern: als Mittel der Dokumentation, als engagierte Spurensuche, als Möglichkeit für Schönheit, Ehre und Selbstbewusstsein, als Anklage und Aktivismus und somit als Kunst im Dienste der Gesellschaft.
Zur Ausstellung erscheint im Steidl Verlag die 900-seitige Publikation K12 – Schwamendingen, ein Randbezirk von Zürich mit über 600 Abbildungen und Beiträgen von u.a. Philipp Klaus, Urs Stahel und der Künstlerin selbst. Das Buch kann in der Kunsthalle Zürich gekauft werden, am Tag der Eröffnung am 27. September zum Spezialpreis! Zur Eröffnung der Ausstellung gibt es die legendäre Bockler Bar aus Schwamendingen feat. OG Pablo.
Wir danken für die Unterstützung: Pro Helvetia – Schweizer Kulturstiftung, Kanton Zürich Fachstelle Kultur/Swisslos, Stiftung Ema und Curt Burgauer, Baugenossenschaft Süd-Ost Zürich.
Die Ausstellung K12 – Schwamendingen wurde mit Unterstützung der Stadt Zürich, Kunst im öffentlichen Raum (KiöR) realisiert und baut auf einer fotografischen Langzeitstudie auf. Sie ist im Rahmen des mehrjährigen Projektes «Lokaltermin Schwamendingen» der KiöR entstanden.