Die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden widmet dem international renommierten Konzeptkünstler Sarkis (geb. 1938 in Istanbul, lebt und arbeitet in Paris) eine umfassende Einzelausstellung, deren Werke einen tiefen sozialen Bezug aufweisen, der zur Verschmelzung von Praktiken und Kulturen auffordert. Die Ausstellung ist das Ergebnis eines mehrjährigen Austauschs mit dem Künstler, der Geschichte und Trauma in der Kunst sowie Institutionen als Raum für Reflexion, Partizipation und Gemeinschaft behandelte.
Die Ausstellung wird am 27. Oktober 2023 um 19 Uhr feierlich eröffnet.
Der Titel der Ausstellung, 7 Tage, 7 Nächte, leitet sich von der Installation 7 Nuits (7 Nächte, 2016–2019) des Künstlers ab, die Sarkis bis heute als eine seiner wichtigsten Arbeiten betrachtet. Sie besteht aus sieben verschiedenen Kompositionen und einem Schlafsack, der auf dem Boden vor dem Werk La grande vitrine (Die große Vitrine, 1982–2021) im Herzen des Pariser Ateliers des Künstlers liegt. Das Werk definiert einen intimen Raum für Selbstreflexion und Meditation ebenso, wie es kontextuelle Aspekte dessen konfrontiert, was es bedeutet, als Künstler ein Leben mit Resilienz und Widerstand zu führen. Es ist eine eindrückliche Darstellung der Position des Künstlers heute sowie der transformativen Aspekte von Politik und der Poesie der Kunst. 7 Nuits wird zum ersten Mal in einem institutionellen Kontext präsentiert.
Als partizipatives Werk schafft L’atelier d’aquarelle dans l’eau (Aquarelle im Wasser, 2005–2006) im Hauptausstellungsraum der Kunsthalle sowohl einen gemeinschaftlichen Raum als auch eine konzeptionelle Bühne. Hier sind alle von 7 bis 70 Jahren eingeladen, an einem ephemeren Ritual mit Aquarellfarben und Wasser teilzuhaben. Wasser, ein wichtiges Element der Stadt Baden-Baden, die von der Oos durchflossen und ihren Thermalbädern geprägt ist, fungiert als Bindeglied, das es ermöglicht, organisch zu arbeiten, zu teilen und intime Begegnungen sowie Erinnerungen zu schaffen. Mittels Wasser schlägt Sarkis Aufmerksamkeit und Geduld als grundlegende Aspekte des Lernens mit und durch die Kunst im Dienste der kollektiven und persönlichen Heilung vor.
Die wechselseitige Aktivierung von Werk und Umgebung wird auch auf bereits vorhandene Werke ausgedehnt, die aus namhaften öffentlichen Sammlungen ausgeliehen wurden, darunter die Serie der maßgeschneiderten Kinderkleider im Ausstellungsraum Défilé du Siècle en Fluo (1995). Mit einer luziden konzeptionellen Choreografie evoziert diese Arbeit das Gedenken an Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, wie sie ihre Körper in verschiedenen Zeitepochen gekleidet haben, und wie wir uns eine Zukunft für unsere Existenz vorstellen. In einer Stadt wie Baden-Baden, mit einem bedeutenden älteren Bevölkerungsanteil, manifestiert sich diese Geste als Rückbesinnung auf unsere Kindheit, durch Neonfarben und futuristische Formen der Abstraktion, die vor Intensität leuchten.
Es war seine Zeit in Deutschland, die den Künstler dazu veranlasste, intensiv über die Unterdrückungslogik westlicher Kunst nachzudenken und das Werkkonzept des »Kriegsschatzes« zu entwickeln. So ist es kein Zufall, dass Sarkis mit dieser Ausstellung in das Dreiländereck zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz zurückkehrt. In der Nähe von Baden-Baden, vor allem während seiner Professur an der Kunsthochschule in Straßburg und im engen Dialog mit Künstlern wie Joseph Beuys und Marcel Broodthaers sowie Kunsthistorikern wie Pontus Hultén, hat er die Suche nach nicht-westlichen Objekten systematisiert, um sie als »trouvés“ zu kontextualisieren – Objekte, die der Künstler zusammengetragen hat, ohne dass sie ihr Eigenleben verlieren.
Sarkis’ Überzeugung, dass Objekte ein Eigenleben haben – mit singulären Geschichten von Schmerz und Leid – führte ihn schließlich zu dem vom deutschen Kunsthistoriker Aby Warburg geprägten Begriff des »Leidschatzes der Menschheit“. In diesem Sinne interpretiert Sarkis die menschliche Geschichte als kollektiven Schatz und Last und verknüpft sie mit seinen eigenen Erinnerungen und seinem Leben.
»Wir sehen unsere Rolle in der Kunsthalle Baden-Baden als kontinuierliche Vermittler einer offenen Plattform«, so die Kurator:innen Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız. »Geschichte ist nie ein abgeschlossener Prozess. Als solcher ist sie unsere materielle und auch erdende Wirklichkeit. Wir lernen aus Sarkis’ künstlerischer Praxis in Bezug auf die menschliche Existenz und unsere ontologischen Fragen. Die Aktualität dieser Ausstellung knüpft nicht nur an eine neue Dringlichkeit der Kunstproduktion angesichts der aktuellen Kriege in unserer Welt an, sondern bekräftigt auch die Rolle von Praxen des Gedenkens im Kontext der aktuellen geopolitischen Entwicklungen. Speziell in Deutschland, aber auch innerhalb eines universellen diskursiven Rahmens, unterstützen wir die vertiefte Auseinandersetzung mit den generationsbedingten psychologischen und sozialen Traumata der Opfer von Krieg, staatlicher Gewalt und Völkermord, einschließlich des armenischen Volkes… diese Thematisierung ist ein wichtiger Schritt in Richtung Anerkennung, Empathie und Andenken. Kunst allein kann unsere großen Probleme – von der Klimakrise und dem ökologischen Kollaps bis hin zur militaristischen Gentrifizierung und Kriegspolitik – nicht lösen, aber sie verändert unsere Perspektive darauf, wie wir auf sie reagieren.«
Defne Ayas trägt mit einer weiteren Überlegung bei: »Traumatische Erlebnisse – sowohl persönliche als auch kollektive – bieten sich immer zur Instrumentalisierung an, insbesondere durch die Politik. In den Händen und mit den Visionen von Sarkis jedoch bewegt sich diese menschliche Zerbrechlichkeit jenseits der Ökonomie traumatisch-kathartischer Schleifen und wird zu einer Forschungskabale. Ich bin stolz darauf, dass wir in der Kunsthalle Baden-Baden diese kinematografische Montage präsentieren können, die aus seinem fast fünfzigjährigen Engagement zur Erforschung des Begriffs Kriegsschatz schöpft.«
Diesem Modus Operandi für Kunstwerke folgend, die sich mit der Welt verändern, werden in der Kunsthalle während der Ausstellungsdauer sieben Tage und Nächte lang Beschwörungen, Mahlzeiten und Lesungen stattfinden, die Sarkis’ sich ständig verändernde Kompositionen neu interpretieren.
Die Ausstellung wurde von Sarkis in enger Zusammenarbeit mit den Direktor:innen der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız sowie der Kuratorin Defne Ayas inszeniert und von Sandeep Sodhi assistiert.
Kurator:innen: Defne Ayas, Çağla Ilk, Misal Adnan Yıldız
Kuratorische Assistenz: Sandeep Sodhi
Die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden dankt FRAC Alsace, Mamco Genève, FRAC des Pays de la Loire, Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Galerie Nathalie Obadia für die großzügigen Leihgaben und die Unterstützung bei der Umsetzung der Ausstellung.