Alle zwei bis drei Jahre lädt das Mu­se­um Lud­wig eine Kün­stler:in ein, die größte Wand im Haus – die Stirn­wand im Trep­pe­nauf­gang – neu zu ges­tal­ten. Der Name Schultze Pro­jects bezie­ht sich auf Ber­nard Schultze und seine Frau Ur­su­la (Schultze-Bluhm), deren kün­st­lerische Teil­nach­lässe das Mu­se­um Lud­wig ver­wal­tet und zu deren Ge­denken die Rei­he 2017 ini­tiiert wurde.

Für die vierte Aus­gabe der Schultze Pro­jects hat die Kün­st­lerin Kre­si­ah Muk­wazhi (*1992 in Harare, Zim­bab­we) eine neue Wan­dar­beit en­twick­elt. Muk­wazhi ver­wen­det häu­fig ge­brauchte Klei­dungsstücke oder Stoffe, die sie zusam­men­näht und be­malt, um mit ih­nen die Ge­walt von Män­n­ern ge­gen Frauen in ihrem Hei­mat­land Zim­bab­we zu the­ma­tisieren. Ihre Kunst ist für sie eine Form des Protests, der Selb­ster­mäch­ti­gung und ein An­satzpunkt, um Frauen zu stärken und zu un­ter­stützen. Muk­wazhi ver­ste­ht ihre kün­st­lerische Praxis als vi­suellen Ak­tivis­mus. In ihren In­s­tal­la­tio­nen, Videos, Per­for­mances, Skulp­turen und Tex­til­col­la­gen macht sie Er­fahrun­gen von Frauen sicht­bar, die in männ­lich do­minierten Ge­sellschaften Sex­u­al­isierung, Diskri­minierung und Margi­nal­isierung aus­ge­set­zt sind. Dabei ste­ht der Kör­p­er als Aus­tra­gung­sort struk­turellen Macht­miss­brauchs im Fokus. In ihren Werken fin­d­en sich ge­brauchte Ac­ces­soires, Perück­en oder Klei­dungsstücke wie Pet­ti­coats, die di­rekt oder in­di­rekt mit dem wei­blichen Kör­p­er und ge­sellschaftlichen Vorstel­lun­gen von Wei­blichkeit as­soziiert wer­den.

Im Ge­gen­satz zu ihren bish­er meist fig­u­ra­tiv­en Bildern hat Muk­wazhi für Köln eine auf den er­sten Blick fast monochrome ab­s­trakte Ar­beit geschaf­fen. Erst bei ge­nauerem Hinse­hen wird das von ihr ver­wen­dete Ma­te­rial erkenn­bar: Träger und Ver­sch­luss­bän­der Tausen­der ge­brauchter BHs. Mit ein­er Länge von über dreizehn Me­tern und ein­er Höhe von mehr als drei Me­tern ist dies ihre bish­er größte Stof­far­beit. Durch das Ma­te­rial, das von In­dus­trie­na­tio­nen als Alt­tex­tilien in afrikanische Län­der ex­portiert wird, ver­weist Muk­wazhi auf an­hal­tende kolo­niale Ver­hält­nisse und fertigt zu­gleich ein monu­men­tales Werk, das, so die Kün­st­lerin, »die Kraft der wei­blichen Kollek­tiv­ität« zum Aus­druck bringt und »den heili­gen Charak­ter von Frauen zurück­fordern will, die als königliche We­sen ge­se­hen und ge­feiert wer­den soll­ten«. Gleichzeitig fließen ihre ei­ge­nen Beobach­tun­gen gesch­lechtsspez­i­fisch­er Ge­walt und sex­ueller Aus­beu­tung im Nachtleben von Harare sowie Ge­spräche, die sie mit Sexar­bei­t­erin­nen ge­führt hat, mit ein. Darüber hi­naus bezie­ht sich die Kün­st­lerin mit ihr­er neuen Ar­beit auf afrikanische Kul­turen, in de­nen Frauen für eine große Spir­i­tu­al­ität ste­hen und eine heilige Verbin­dung zum Bo­den be­sitzen. Das Able­gen der Klei­dung hat dabei be­son­dere Be­deu­tung und verdeut­licht ihre Stärke und ihren un­beugsa­men Wider­s­tand ge­gen jede Form der Un­ter­drück­ung. Diese Son­der­stel­lung und von manchen ge­fürchtete Kraft der wei­blichen Emanzi­pa­tion spiegelt sich auch in der Ar­beit wied­er. In den Worten der Kün­st­lerin: »Diese Ar­beit ver­sucht, die Macht und die Würde der Frauen in unser­er heuti­gen Ge­sellschaft zurück­zugewin­nen, der Aus­ge­gren­zten, der­jeni­gen, die ge­gen die un­ter­drück­en­den Kräfte des Pa­triarchats re­bel­liert haben und als proble­ma­tisch abgestem­pelt wur­den, weil sie sich entschie­den haben, ihre Stimme zu er­heben. Die Ak­tivistin­nen, die Sexar­bei­t­erin­nen, die Kün­st­lerin­nen, die Außen­sei­t­erin­nen, die Frauen, die in männ­lich do­minierten Ar­beitswel­ten auf­begehren.«

Gleichzeitig er­weit­ert der in Muk­wazhis Mut­ter­sprache Sho­na ver­fasste Ti­tel der Ar­beit, »Shan­duko nhe­ma«, den In­ter­pre­ta­tion­s­ra­dius. Er lässt sich im weitesten Sinne als »Sch­warze Rück­forderung« aber auch als »Sch­warze Lü­gen.« übersetzen. Let­ztere lassen sich auf die ras­sis­tischen Ide­olo­gien bezie­hen, mit de­nen die eu­ropäischen Mächte ihre ange­bliche kul­turelle Höher­w­ertigkeit ge­genüber nicht weißen Men­schen be­grün­de­ten und als Vor­wand für die Kolo­nial­isierung Afrikas nutzten. Die Kün­st­lerin selbst führt aus: »Bei der Ar­beit, die ich für Schultze Pro­jects en­twick­elt habe, stelle ich die neg­a­tiv­en Wahrneh­mun­gen in Frage, die mit der Farbe Sch­warz ver­bun­den sind – als böse (sch­warze Magie), als dunkel, als Außen­seit­er:in (sch­warzes Schaf) – und ich präsen­tiere sie als eine Form der Er­mäch­ti­gung der­jeni­gen, die sie repräsen­tiert.«

Kre­si­ah Muk­wazhi hat zulet­zt auf der Art Basel Un­limit­ed 2024 eine große neue Ar­beit präsen­tiert; 2023 hatte sie Einze­lausstel­lun­gen im Nott­ing­ham Con­tem­po­rary und in der Wien­er Se­ces­sion. 2022 war sie im Pav­il­lon von Zim­bab­we auf der Bien­nale von Venedig vertreten.

Ku­ra­tor: Yil­maz Dziewior

Über die Schultze Pro­jects

Seit 1968 haben Ber­nard Schultze und seine Ehe­frau Ur­su­la (Schultze-Bluhm) als Kün­stler­paar in Köln gelebt und gear­beit­et. Über Jahrzeh­nte waren sie eine feste Größe im kul­turellen Leben der Stadt und dabei dem Mu­se­um Lud­wig stets in be­son­derem Maße ver­bun­den. So be­her­bergt das Mu­se­um ei­nen Großteil ihres kün­st­lerischen Nach­lass­es. Mit sei­nen seit Be­ginn der 1950er Jahre ent­s­tan­de­nen Ar­beit­en zählte Ber­nard Schultze zu den Pi­onieren des In­formel in Deutsch­land. Das groß an­gelegte Werk­for­mat war für sein Spätw­erk ein zen­traler As­pekt. Es stellt den sub­s­tanziellen Bezugspunkt für die zu den Schultze Pro­jects ein­ge­la­de­nen Kün­stler:in­nen dar.

Bish­erige Kün­stler*in­nen:

Schultze Pro­jects #1 (2017): Wade Guy­ton 
Schultze Pro­jects #2 (2019): Av­ery Singer 
Schultze Pro­jects #3 (2021): Min­er­va Cue­vas

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