Was verrät unser Gesicht über unseren Charakter, über unser Leben und über unsere politische Gesinnung? Eine Frage, die aktuell im Rahmen des Einsatzes von künstlicher Intelligenz ein Comeback der Physiognomik mit Algorithmen und Statistik feiern könnte. Dabei ist der Ansatz nicht neu. Auch in der Weimarer Zeit war das Denken in Typen weitverbreitet, Überlegungen zu Physiognomie, Typenlehre und Charakterologie waren sowohl in wissenschaftlichen Veröffentlichungen, als auch in den prosperierenden Zeitungen, Filmen und Literatur allgegenwärtig.

Die Ausstellung betrachtet das neusachliche Typenporträt erstmals eingehend im historischen Kontext. Zahlreiche Werke, in denen Künstler:innen wie Otto Dix, George Grosz, Jeanne Mammen und Hanna Nagel das »Typische« der porträtierten Personen in den Vordergrund stellten, wurden maßgeblich beeinflusst von einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs in der Weimarer Republik: der Suche nach dem »Gesicht der Zeit«. Dieses Denken wird aus heutiger Sicht häufig als Kategorisierungs- und Typisierungswahn einer orientierungssuchenden Epoche bewertet. Wenige Jahre später jedoch wurde die Klassifizierung und damit verbundene Abwertung von Menschen zur Grundlage der nationalsozialistischen Rassenideologie.

Die Ausstellung verdeutlicht weiterhin, dass viele Stereotype und Klischees von damals bis heute nachwirken und weiterhin den Blick auf unser Gegenüber beeinflussen. So schlägt sie schließlich einen direkten Bogen in die Gegenwart mit einer eigens für die Ausstellung entwickelten Installation von Cemile Sahin.

Der Ausstellungstitel bezieht sich auf den viel rezipierten Ratgeber »Sieh dir die Menschen an!« von Gerhard Venzmer (1893–1986). Das Buch erschien erstmals 1930 in der Franckh’sche Verlagsbuchhandlung Stuttgart und soll, so die Verlagsbeschreibung, »anschaulich die inneren Beziehungen zwischen Körperform und Wesensart des Menschen« erklären. Aus heutiger Sicht ist festzustellen, dass trotz der enormen Reichweite der Publikation, die hier formulierten Thesen nicht über pseudowissenschaftliches Fabulieren hinauskommen, jedoch schwerwiegende Folgen hatten. Sie entstanden im Geist einer Ideologie der Ausgrenzung, die zu Vertreibung und Völkermord führte.

Eine Ausstellung des Kunstmuseums Stuttgart in Kooperation mit den Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser.

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