»Seit ich mit der Bildhauerei begonnen habe, habe ich stehende Figuren gemacht. Am Anfang waren sie klein und wurden nach und nach größer. Sobald ich Ton anfasste, wollte ich Figuren und damit stehende Männer schaffen. … Wie sie sich formal manifestiert haben, kommt von meinem archäologischen Hintergrund und meiner tiefen Leidenschaft für mein Land und seine Geschichte. Für mich beginnt die Geschichte mit Sumer und ist nie zu Ende gegangen. Die Form ist für mich lebendig; es gibt keinen Punkt, an dem die Geschichte aufhört und sich verändert. Sie ist ein kontinuierlicher Moment.«
Simone Fattal
Simone Fattal präsentiert in ihrer Ausstellung metaphorS Werkgruppen aus verschiedenen Schaffensphasen und in diversen Medien. Diese umfassen Skulpturen aus gebranntem Ton und Keramik, Malerei und Collagen. Durch ihre Werke erzählt sie Geschichten von Menschlichkeit, Kultur, Geschichte und Gegenwart. Themen wie Konflikt, Konsens, Natur, Glaube und Vertrauen stehen dabei im Mittelpunkt. Trotz (oder gerade wegen) eines nomadischen Lebens ist ihre Kunst zutiefst verbunden mit der jahrtausendealten Kultur und Geschichte des Nahen Ostens – sie wuchs in Damaskus und Beirut auf – und die Epen, Gedichte, Archäologie und Landschaften dieses so reichen und zugleich so konfliktbeladenen Kulturkreises dienen ihr sowohl als Inspiration als auch als zentrale Themen. Figuren aus antiken Erzählungen wie Gilgamesch, Dhat al-Himma, Dionysos oder Adam und Eva nutzt sie als Vorlagen für ihre vorzeitlich anmutenden Ton- und Keramikskulpturen. In ihrer meist abstrakten Malerei stehen Landschaften im Vordergrund, inspiriert unter anderem von der Aussicht auf den Berg Sannin in Beirut, aber auch von den Gärten ihrer Kindheit.
Simone Fattal begann Anfang der 1970er-Jahre in Beirut zu malen, nachdem sie in Frankreich studiert hatte. Nach Jahren des Bürgerkrieges verließ sie 1980 den Libanon und ließ sich in Kalifornien nieder. Dort gründete sie den Verlag Post-Apollo Press und widmete sich dreißig Jahre lang der Veröffentlichung von Literatur und Lyrik, darunter viele Bücher ihrer Lebensgefährtin Etel Adnan. Ende der 1980er-Jahre studierte sie Bildhauerei am San Francisco Art Institute und entwickelte eine Leidenschaft für das Arbeiten mit Ton. Parallel dazu begann sie auch Collagen anzufertigen, die Bilder von archäologischen Stätten und Relikten mit aktuellen Fotos kombinieren. Fragmentierung und Verknüpfung unterstreichen hier die Fragilität einer durch Migration geprägten Identität. Um Brüche und Ähnlichkeiten zu erkennen und eigene Verbindungen und Narrative herzustellen, sollten, so die Künstlerin, »die Collagen langsam gelesen werden, wie persische oder arabische Miniaturen.«
Das Herzstück der Ausstellung metaphorS sind fünf großformatige Tonskulpturen aus der Werkgruppe Guerriers. Auf die für Fattal typische Weise repräsentieren die unverkennbar langbeinigen Formen mit ihren rau bearbeiteten Oberflächen, worauf Spuren und Abdrücke der händischen Bearbeitung des Materials klar sichtbar sind, stehende männliche Figuren – Krieger, archetypische Helden, Beschützer. Diese Figuren mit den stämmigen Beinen, auf denen nahezu rumpflos ein kleiner Kopf sitzt, stellen keine konkreten Personen dar, sondern sind vielmehr Metaphern für die menschliche Existenz, für Widerstand und Resilienz. Geschaffen 2008 im Atelier des Keramikbildhauers Hans Spinner in Grasse, Südfrankreich, ist diese Gruppe erstmals außerhalb des Libanon, wo sie Teil der Sammlung Saradar in Beirut ist, zu sehen.
Neben einer Serie kleinformatiger abstrakter Malereien zeigt Fattal auch zwei große Landschaftsbilder, Sitter I und Sitter II. Die gestisch-abstrahierten Darstellungen einer Flusslandschaft, die Fattal 2023 während eines mehrwöchigen Arbeitsaufenthalts im Sitterwerk in St. Gallen malte, zeugen von ihrem in den letzten Jahren wiedererwachten Interesse an der Malerei.
Die Publikation zur Ausstellung enthält ein Interview mit der Kuratorin Cecilia Alemani, die Fattals Werke 2022 in der Hauptausstellung der Venedig Biennale zeigte. Eine Bildstrecke mit Schwarz-weiß-Fotografien fängt die Stimmung eines spontanen Arbeitstreffens mit der Künstlerin ein und öffnet einen intimen Raum. Kurz nach diesem Treffen und angeregt durch die Nachbarschaft ihrer Ausstellung in der Secession zum Beethovenfries von Gustav Klimt schuf Simone Fattal mehrere Collagen und Zeichnungen, in denen sie sich mit Ludwig van Beethoven und der Rezeption seines Werks, insbesondere seiner Klaviersonaten und der 9. Symphonie auseinandersetzt. Ein Blatt mit der Reproduktion einer dieser neuen Collagen, Wagner on Beethoven (Mai 2024), ist in das Buch eingelegt. Das Bild eines sumerischen Siegels, dessen Muster einer bewegten Notation ähnelt, ist mit einem Textschnipsel verbunden: Richard Wagners Kommentar zu Beethovens Klaviersonate Nr. 30, dass »das einleitende, sehr langsame Adagio sicher das Melancholischste ist, was die Musik je ausgedrückt hat«.
Simone Fattal, geboren 1942 in Damaskus, Syrien, lebt und arbeitet in Paris.
Kuratiert von Jeanette Pacher (Secession)