Für ihre Ausstellung Achievement in der Secession hat Susana Pilar Delahante Matienzo eine neue installative Arbeit, eine Performance und eine Intervention am Gebäude entwickelt. Sie alle formulieren feministische, antirassistische und antikoloniale Gegenentwürfe, rücken die Leistungen Schwarzer Frauen ins Zentrum und propagieren eine Form der Heilung.
Im Grafischen Kabinett zeigt die Künstlerin scheinbar historische Schwarz-weiß-Fotografien in einem inszenierten Archivraum, einer Art Bühnenbild, das die Stimmung eines vergessenen Lagerraums evoziert. Die kleinformatigen Fotografien stecken zwischen den Regalen und in Schränken. Besucher:innen werden zu Akteur:innen, die dem vermeintlichen Archiv einer Verlassenschaft nachspüren, Schubladen öffnen, Fotos anfassen und betrachten. Die Bilder zeigen allesamt Schwarze Frauen, die Freiheit, Gerechtigkeit, Entwicklung, Freude und noch viel mehr errungen haben. Die Bekleidung verortet die Dargestellten im 16., 17., 18. oder 19. Jahrhundert. Erst durch die Bildunterschriften erschließt sich, dass die durchwegs realistischen Sujets mithilfe künstlicher Intelligenz generiert worden sein müssen, denn die Texte sind Beschreibungen, Anleitungen für das, was dargestellt werden soll und auch wie.
Die Neuerfindung des Gedächtnisses und die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Archiv sind grundlegend für Delahante Matienzos Forschung und eine Strategie zur Rückgewinnung von Identität und Geschichte für Menschen, denen das Recht verweigert wurde, ihre eigene Geschichte aufzuzeichnen.
Als Künstlerin aus Kuba mit afrikanischen und chinesischen Wurzeln weiß sie aus der eigenen Familie, dass man sich lange Zeit für die Familiengeschichte nur auf mündliche Überlieferungen berufen konnte. Mit Achievement präsentiert sie ein fiktives und spekulatives Archiv, das Schwarze Frauen als bedeutende, wohlhabende und wertgeschätzte Mitglieder der Gesellschaft und als aktive und selbstbestimmte Geschäftsfrauen zeigt. Damit betreibt sie nicht nur Geschichtskritik, sondern geht einen wichtigen Schritt in Richtung einer differenzierten Betrachtung – um nicht zu sagen Re-Programmierung – von scheinbar unverrückbaren Glaubenssätzen. Die Künstlerin reagiert auf den kolonialen Blick mit selbstbewussten Gegendarstellungen. »Schwarze Menschen waren nicht nur Sklaven. Sie waren mit so vielen Dingen beschäftigt. Ich glaube wirklich, dass künstliche Intelligenz die Lücke füllen und dazu beitragen kann, die Geisteshaltung der Menschen zu verändern, wenigstens ein bisschen.«1
Ihr Umgang mit der derzeitig heftig diskutierten KI ist dabei erfrischend ideologiebefreit: KI ist ein Werkzeug, ein Hilfsmittel, das Potentiale freilegt. »Ich finde, wir sollten KI-Bildarchive für die Zukunft schaffen. In diesen Archiven würden Fotos gesammelt, die auf realen Momenten oder Situationen basieren, also solchen, von denen wir wissen, dass es sie gegeben hat, die aber aus irgendeinem Grund nicht aufgezeichnet werden konnten. Es gibt viele historische Gemälde über historische Ereignisse und Momente, von denen aber noch keine Fotos gemacht werden konnten. Ich würde also sagen, dass KI-generierte Bilder eine Art Malen mit Fotografie sind.«2
Seit langem gibt es wieder eine Intervention auf der Kuppel der Secession, die das Erscheinungsbild des Hauses für einen kurzen Zeitraum radikal verändert und schwarze Frauen ehrt: Das Projekt von Delahante Matienzo verwandelt die goldene Kuppel in eine schwarze. Inspiration dafür waren die Bantu-Knoten, eine Frisur der Zulu in Südafrika mit mehr als hundertjähriger Tradition, die die rund 2500 Blätter der Kuppel schmücken. Die Künstlerin hat sich in einer Reihe von Arbeiten mit dem natürlichen Haar und den Schönheitsdiktaten von Schwarzen Frauen auseinandergesetzt und beispielsweise für die 12. Havanna-Biennale 2015 den Wettbewerb Lo llevamos rizo: Competition fornatural afro hair [Wir tragen es lockig: Wettbewerb für natürliches Afro-Haar] ins Leben gerufen, der seitdem im ganzen Land stattfindet.
Am Eröffnungsabend findet außerdem unter der öffentlich nicht zugänglichen Kuppel der Secession eine Spoken-Word-Performance der Künstlerin statt, die als Livestream übertragen und auch in der Ausstellung dokumentiert wird.
1 Susana Pilar im Gespräch mit der Journalistin Adiaratou Diarrassouba, im Buch zur Ausstellung
2 Ebenda
Susana Pilar Delahante Matienzo geboren 1984 in Havanna, Kuba, lebt und arbeitet seit 2021 in den Niederlanden.
Kuratiert von Bettina Spörr