Der Künstler Sven Johne ist Geschichtenerzähler. Er nutzt dokumentarische Medien wie Fotografie, Film und Text, um fiktive Zustandsbeschreibungen ostdeutscher Biografien zu entwerfen. Anlässlich der Erwerbung seiner Videoarbeit Дорогой Владимир Путин (Lieber Wladimir Putin) (2017) durch die Gesellschaft für Moderne Kunst in Dresden e.V. zeigt das Albertinum nun dieses breit diskutierte, bis heute höchst relevante Werk.

In Lieber Wladimir Putin lauschen wir den besorgten Worten des Dresdners Peter Bittel, gespielt von Gottfried Richter, der sich mit seinen Klagen hilfesuchend an den russischen Präsidenten wendet. Putins starke Hand erscheint ihm die einfachste Antwort auf die stetig komplexer werdenden Fragen des Jetzt zu sein. In gebrochenem Schulrussisch vorgetragen, zeugt die Stimme von einer ostdeutschen Vergangenheit, deren idealisierte Erzählungen von der Schwerstarbeit an der Erdgastrasse Druschba (z. Dt. Freundschaft) zur wohligen Erinnerung an eine andere Form der Zugehörigkeit verklärt wird. Gepaart mit einfachen, distanziert-vorsichtigen Aufnahmen, entsteht in Lieber Wladimir Putin das beispielhafte Porträt eines zweifelnden und verzweifelten Charakters, wie er heutzutage zahlreich in Ost- wie auch in Westdeutschland existiert. Johnes fiktionaler Brief kondensiert ihren sehr realen Protest, in dem sich eine gekränkte Desillusionierung mit Demokratie und liberalen Werten zu einer Sehnsucht nach durchgreifenden, autoritären Entscheidern steigert, für die Wladimir Putin nur ein Beispiel unter vielen ist.

Bereits seit zwei Jahrzehnten spüren Johnes fiktive Studien der, wie er es formuliert, »Krise des Westens« nach, ausgelöst durch die neoliberale Transformation des gesellschaftlichen Miteinanders, in deren Vakuum sich ein zunehmender Nihilismus breitmacht. In seinen Videoarbeiten studiert Johne die komplexen Verzweigungen des Gestern mit dem Heute auch immer durch die Struktur von Bildern: Gottfried Richter erlebte seinen ersten schauspielerischen Erfolg einst in der Rolle des Jungkommunisten Viktor Kleist im Spielfilm Unterwegs zu Lenin (1969). In der Figur des Peter Bittel inszeniert ihn Johne nun als wehmütig Zurückblickenden, dessen Ideale sich angesichts der vielfältigen Krisen der Gegenwart zu totalitären Sehnsüchten versteigert haben. In seinen Videoarbeiten orchestriert Johne gekonnt eine Sogwirkung durch den gezielten Einsatz von Bildern, Stimme und Erzählung – seinen Protagonisten begegnen wir häufig aus der Ich-Perspektive –, um einen emotionalen Zugang zu beispielhaften Schicksalen zu gewähren, die uns mehr offenbaren als nur den Einblick in sich selbst.

Mit Lieber Wladimir Putin betreten wir den mentalen Raum einer von Enttäuschung gezeichneten Person, die ihre Sorgen von gesellschaftlichen Institutionen wie der repräsentativen Demokratie aber auch der Kunst nicht mehr wahrgenommen fühlt. Ohne zu beschönigen und ohne unmittelbar zu widersprechen, ist Lieber Wladimir Putin auch eine schmerzhafte Erfahrung, die die Möglichkeit eröffnen kann, Diskussionen auszulösen.

Sven Johne, geboren 1976 in Bergen auf Rügen, DDR, lebt und arbeitet in Berlin. 1996–1998 Studium der Germanistik, Journalistik und Namensforschung an der Universität Leipzig. 1998–2004 Studium der Medienkunst und Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, 2006 Ernennung zum Meisterschüler bei Timm Rautert. 2008 International Studio and Curatorial Program, New York City, USA. 2010/11 Gastprofessor für Fotografie an der HGB Leipzig.

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