Der Cardiff Giant ist bis heute eine der unglaublichsten wissenschaftlichen Fälschungen in der Geschichte der nordamerikanischen Archäologie. Benannt ist die Steinfigur nach ihrem Fundort im Staat New York. Der Atheist George Hull hatte an einem Methodistentreffen die Bibelstelle aus dem Buch Genesis 6.4 kennengelernt: »Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus Riesen auf Erden.« Hull liess daraufhin die übergrosse Steinfigur erstellen und vergrub sie auf dem Grundstück seines Komplizen William Newell. Sie veranlassten, dass ein Jahr später an derselben Stelle ein Brunnen errichtet werden sollte, bei dessen Bau der Riese zufällig «entdeckt» wurde.
Über den vermeintlich sensationellen Fund des urzeitlichen Riesen wurde landesweit berichtet. Das Kalkül ging auf, zahlreiche Schaulustige anzulocken, die gegen Entgelt einen Blick auf den Giganten werfen durften. Obwohl die Figur bald als Fälschung entlarvt wurde, entstand eine Eigendynamik rund um die Geschichte des Riesen, die selbst Forscher dazu verleitete, auf der Basis des Schwindels Theorien über die Frühzeit der USA zu entwickeln.
Der 1957 in New York geborene Tony Oursler recherchierte die Geschichte und ihre Hintergründe und schuf aus den Ergebnissen eine multimediale Installation, welche historische Fakten mit eigens hergestellten Artefakten in einer bühnenartigen Theater- und Schaustellerästhetik verbindet. Sie entführt das Publikum in eine fantastische Welt voller illusionistischer Tricks, der man sich ähnlich einem Kuriositätenkabinett mit einem wohligen Schaudern hingibt. Die Vermischung von historischer Recherche, wissenschaftlichen Fakten, gezieltem Schwindel und Verführung der Massen ist uns inzwischen nur allzu vertraut. Glaubenskrisen, Fake News und Verschwörungstheorien sind omnipräsent und die Rolle der (sozialen) Medien ein wichtiger Faktor für den Erfolg betrügerischer Geschäfte.
Der international bekannte Videokünstler Oursler schuf mit seiner Aneignung des Cardiff Giants eine ebenso unterhaltsame wie abgründige Parabel über Doppelmoral und den Vertrauensverlust in die grosse westliche Erzählung von Wissenschaft und Fortschritt.
Kuratiert von Lynn Kost