Die Ausstellung Über Fernsehen, Beckett ist ein Projekt des Künstlers Gerard Byrne und der Kuratorin und Beckett-Expertin Judith Wilkinson. Sie präsentiert erstmals alle sieben wegweisenden Fernsehspiele, die Samuel Beckett zwischen 1966 und 1985 für den Süddeutschen Rundfunk (SDR, heute SWR) in Stuttgart produzierte: He, Joe (1966), Geistertrio (1977), Nur noch Gewölk (1977), Quadrat I, (1981), Quadrat II (1981), Nacht und Träume (1982) und Was Wo (1985). Darüber hinaus zeigt sie Becketts für die BBC produzierte Fernsehfassung seines Stücks Not I, die am 1. November 1977 vom SDR gemeinsam mit Geistertrio und Nur noch Gewölk unter dem Titel »Schatten« ausgestrahlt wurde.

Die Ausstellung ist somit Zeugnis nicht nur der herausragenden künstlerischen Praxis Samuel Becketts, sondern auch eines Moments experimenteller Offenheit, Risikobereitschaft und Pionierarbeit deutscher Fernsehanstalten.

Was hat Beckett in dem damals noch jungen Medium Fernsehen als Alternative zum Theater, Kino und Radio erkannt? Die Ausstellung geht dieser Frage aus heutiger Sicht nach, einer Zeit, in der sich die Bedeutung und Funktion von Fernsehen angesichts von Internet, Social Media und Streamingdiensten radikal verändert hat.

Das Ausstellungsdisplay, das unter anderem eines der historischen Aufnahme-Sets im SDR aufgreift, wurde von dem Künstler Gerard Byrne entwickelt. Neben den acht Fernsehspielen, die als Videoprojektionen in vier kino/theaterartigen Räumen gezeigt werden, umfasst es zahlreiche bislang unveröffentlichte Dokumente zu Becketts Aufenthalten in Stuttgart und zu seiner Arbeit im SDR. Diese werden in Form eines essayistisch montierten Frieses präsentiert, der die kuratorisch-künstlerische Perspektive auf Beckett und auf Strukturen des Archivs reflektiert. Eine Auswahl von Filmen und Videos der 1960er Jahre bis heute von Beckett und anderen Künstler:innen erweitern die Kontextuierung der Fernsehspiele.

Beckett, der SDR und Stuttgart
Der Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett (geb. 1906 in Dublin, gest. 1989 in Paris) hatte in den 1950er Jahren begonnen, mit dem Medium Radio zu experimentieren und Hörspiele unter anderem für den Süddeutschen Rundfunk zu produzieren. Durch Vermittlung des Kunsthistorikers Werner Spies, der damals Korrespondent des SDR in Paris war, kam Beckett in Kontakt mit dem Leiter der damaligen Fernsehspielabteilung des Senders, Reinhart Müller-Freienfels, der ihn dazu einlud, für den SDR ein Fernsehspiel zu produzieren. Müller-Freienfels hatte zu dieser Zeit die Reihe Der Autor als Regisseur ins Leben gerufen und in diesem Rahmen bereits mit Künstler:innen wie Marguerite Duras, Wolfgang Menge oder Martin Walser zusammengearbeitet.

Die erste gemeinsame Produktion von Beckett und dem SDR war 1966 das Fernsehspiel He Joe, für das der Künstler, anders als bei der Bearbeitung durch die BBC, selbst Regie führte. Bis 1985 sollten fünf weiterer Koproduktionen mit dem SDR realisiert werden.

Becketts Regiearbeiten in den Studios des SDRs sind von Beginn an von einem hohen Maß experimenteller Freiheit gegenüber der neuen Videotechnik geprägt. Für seine Stücke legt er die Kameraführung zentimetergenau fest, macht detaillierte Angaben zu Szenenbild, Kostüm und Maske. Es entstehen sieben minimalistische Werke, die die Methoden und Rhetoriken des Fernsehens nicht nur ausschöpfen, sondern auch neu interpretieren.

Beckett reiste für seine SDR-Produktionen mehrmals nach Stuttgart, wohnte dabei stets im Parkhotel in der Neckarstraße und hielt sich hauptsächlich im Umfeld des ebenfalls dort gelegenen SDRs auf. Über die Straße verfasste er 1978 ein Gedicht:
 
»Versäumen Sie in Stuttgart nicht,
sich die lange Neckarstraße anzusehen.
Der Anreiz des Nichts ist dort nicht mehr das,
was er einmal war, weil man eben
den sehr starken Verdacht hat,
längst mitten darin zu sein«

– Übersetzung von Elmar Tophoven

Bedeutung der Fernsehspiele
Zu denjenigen, die die Bedeutung der Beckett’schen Fernsehspiele früh erkannten, gehörte insbesondere der französische Philosoph Gilles Deleuze, der diesen sein Essay Erschöpft (Original: L’Épuisé, 1992) widmete. Durch das Fernsehen, so Deleuze, habe Beckett eine völlig neue Sprache, die aus Bildern und Räumen besteht, entwickelt. Becketts neue televisuelle Sprache sei nicht nur entscheidend für die Weiterentwicklung seiner eigenen künstlerischen Praxis gewesen, sondern habe auch völlig neue Formen des Umgangs mit den Möglichkeiten des Mediums Fernsehen hervorgebracht.

Die Relevanz von Becketts Fernsehspielen für Generationen von Videokünstler:innen manifestierte sich unter anderem in der von dem kanadischen Künstler Stan Douglas 1988 für die Vancouver Art Gallery kuratierte Ausstellung Samuel Beckett: Teleplays 1987–1988, die unter anderem Quadrat IQuadrat II und Nacht und Träume sowie Fernsehstücke, die Beckett für die BBC produziert hatte, umfasste.

Das Rahmenprogramm zur Ausstellung geht dieser Bedeutung nach.

Eröffnung: Freitag, 18. Oktober 2024, 19 Uhr

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