Das Porträt gehört zu den ältesten Bildgegenständen der Menschheit. Schon die Ägypter verewigten Menschen in Wandmalereien und Mumien, Griechen und Römer schufen Münzbildnisse oder stellten Porträtbüsten auf, in denen Herrschern gehuldigt und Verstorbenen gedacht wurde. Immer geht es dabei auch um deren Stilisierung und Idealisierung.
In der Renaissance gewinnt das Porträts in ganz Europa an Beliebtheit: Das „moderne« Individuum wird in Haltung und Gesichtsausdruck, in Gestik sowie ausgewählten Accessoires so präsentiert, wie es sich selbst sieht oder gesehen werden will. Während des Barockzeitalters erlebt das Porträt einen weiteren Aufschwung: Prunkvolle Gewänder und pompöse Draperien gepaart mit stilisierten Posen bestimmen nunmehr die am Repräsentationsbedürfnis orientierten Inszenierungen. Der Künstler will damit stets auch die Persönlichkeit und »die Seele« der dargestellten Person abbilden.
Genau hier setzt Volker Hermes an, der mit seinen digital verwandelten Bildnissen die Normen aufbricht und das Individuelle paradoxerweise dadurch zum Ausdruck bringt, indem er Gesichter verhüllt. Er verwehrt den Blickkontakt und rückt vielmehr Gewänder, Bänder, Fächer, Schmuck und weitere Accessoires in den Vordergrund. Das erinnert uns daran, dass ein solches Beiwerk die Identität der Porträtierten ganz entscheidend mitbestimmt, denn Kleider machen Leute. Alle Elemente der digitalen Verhüllungen entstammen den Gemälden selbst, die stets erkennbar bleiben. So entsteht ein Spiel zwischen Hülle und Inhalt, zwischen Verschleiern und Entblößen, zwischen Distanz und Nähe, und auch ein Dialog zwischen Auge und Zeit.
Das Suermondt-Ludwig-Museum hat den für seine digitalen Metamorphosen weltweit anerkannten Düsseldorfer Künstler Volker Hermes (*1972) eingeladen, sechs Werke der hauseigenen Sammlung künstlerisch zu bearbeiten. Die Ergebnisse, zu sehen im Porträtraum (1. OG), sind fesselnd, humorvoll und sozialkritisch. Sie schlagen die Brücke in unsere heutige Zeit und konfrontieren uns mit aktuellen Themen wie Gleichberechtigung, Diversität oder dem Verständnis von sexueller Identität.
Im Kaminraum des Museums ist ein anderer Aspekt seines Œuvres zu sehen: Dort sind neun Marinebilder ausgestellt, die alle auf historischen Gemälden basieren, aber gänzlich neue Interpretationen erfahren und zu eigenständigen Kompositionen mutieren. Mit analytischem Blick baut Hermes die Seestücke versatzstückartig nach dem Prinzip Himmel, Horizont und Meer auf und empfindet sie in einer Mischung aus Zeichnung und Malerei nach. Durch den Einsatz von Acryl, Edding und Graffitimarkern, die alle einen permanenten Charakter haben, wird das Momenthafte in der Darstellung betont und die Dramatik anhand von Linien, Abstraktionen und Farbverläufen verstärkt.
»Auge und Zeit« ist seine erste Einzelausstellung in Aachen.
Kuratorin: Sarvenaz Ayooghi