Die Ausstellung rückt Leben und Werk zweier expressionistischer Künstler in den Fokus, die durch eine berührende Freundschaft miteinander verbunden waren. Die beiden Nachbarskinder Hans Thuar und August Macke sind neun und zehn Jahre alt, als sie sich anfreunden. Sie teilen nicht nur die Begeisterung für die wilden Spiele im Neubaugebiet am Kölner Strandrand. Gleichermaßen fasziniert sind sie von den japanischen Holzschnitten, die Vater Thuar in seiner Grafiksammlung verwahrt. »Wir saßen – wir wilden, wilden Jungens – vor diesen unglaublich subtilen Reisblättern […] und waren begeistert, erschüttert und so andächtig, wie uns noch keine Kirche je gesehen hatte«, erinnert sich Thuar.
Als Thuar ein Jahr später bei einem Pferdebahnunglück beide Beine verliert, ist es August Macke, der dem Freund durch seinen Humor den Lebensmut zurückgibt. »Damals erfand er das Karikaturenzeichnen, ich mußte doch lachen, ich sollte doch um jeden Preis lachen!« Der Freundschaft tut auch der Umzug von Familie Macke nach Bonn keinen Abbruch. Beide entscheiden sich, Künstler zu werden, doch das traditionelle Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie erfüllt sie nicht. Sie entwickeln eine ausdrucksstarke, farbkräftige Malweise und gehören mit ihren Werken vor dem Ersten Weltkrieg zu den heftig angefeindeten expressionistischen Modernen. »Eine starke lebendige Empfindung zu gestalten« (Macke) – ist das Motto, das sie bei ihren Experimenten antreibt. Während Macke einen Ausdruck für seine Vorstellungen vom irdischen Paradies sucht, spiegelt sich in Thuars Werk seine existentielle Beziehung zur Natur.
Nach einer kurzen, engen Zusammenarbeit in Bonn, trifft Mackes früher Tod als Soldat im Ersten Weltkrieg Thuar so sehr, dass er seine künstlerische Arbeit beendet. Als er Anfang der 1920er Jahre wieder mit dem Malen beginnt, entstehen großartige hochexpressive, leuchtend farbige, ganz eigenständige Kompositionen – »expressiv bis zum Bersten« wie August Mackes Sohn Wolfgang urteilt. Gleichzeitig bringen Inflation und Wirtschaftskrise die inzwischen fünfköpfige Familie immer wieder an den Rand des Existenzminimums. Zudem machen Thuar die körperlichen Einschränkungen seelisch zu schaffen.
Kunsthandwerkliche Arbeiten, selbst entwickelte Salben und Cremes, der Betrieb einer Tankstelle und eines Cafés sowie schließlich die Eröffnung eines Ladens tragen zum Lebensunterhalt bei. Doch es ist der große Freundeskreis, zu dem auch Mackes Witwe und ihre beiden Söhne gehören, der ihm die nötige Inspiration verleiht. Als Mackes Sohn Wolfgang und Thuars Tochter Gisela an Weihnachten 1937 heiraten, wachsen die beiden Künstlerfamilien endgültig zusammen. Wenig später unternimmt Thuar zusammen mit Wolfgang und Gisela nach 25 Jahren seine erste Reise, die ihn ins Haus von Maria Marc, der Witwe von Franz Marc, nach Oberbayern führt. Die beeindruckende Alpenlandschaft bannt er mit abstrahierenden, expressiven Pinselstrichen auf die Leinwand.
Ausstellung und Katalog, verantwortet von Ina Ewers-Schultz, spüren erstmals dieser einzigartigen Künstlerfreundschaft nach. Sie rücken mit Thuar einen Künstler in den Mittelpunkt, dessen Werk zu Unrecht beinahe in Vergessenheit geraten ist. Die besondere Beziehung der beiden Expressionisten veranschaulicht die Illustratorin Yuka Masuko in einer Kurzgeschichte. Sie hat sie im Stil einer graphic novel eigens für die Ausstellung geschaffen – auf der Basis der überlieferten Erinnerungen und Briefzitate.